Doppelte Umkehr – Nezawim

In seinem Buch "Sifre Chassidim" bringt Rabbiner Schlomo Josef Sewin ein Gespräch zwischen dem "Ba'al HaTanja" (Gründer des Lubawitsch-Chassidismus)...

3 Min.

Rabbiner Ja´akov Halevi Filber

gepostet auf 06.04.21

In seinem Buch "Sifre Chassidim" bringt Rabbiner Schlomo Josef Sewin ein Gespräch zwischen dem "Ba'al HaTanja" (Gründer des Lubawitsch-Chassidismus) und dem Enkel des "Zemach Zedek" über folgende Geschichte: An einem Schabbat Parschat Nizawim sprach der "Magid von Meseritsch" über den Vers "Dass du zurück kehrest zu dem Ewigen, deinem G~tte" (Dt. 30,2), und erklärte bei dieser Gelegenheit, dass die Bemühung um die Rückkehr zu G~tt bis hin zum höchsten Namen G~ttes reichen müsse (der Name, der das "Seiende" andeutet; er wird anders ausgesprochen als geschrieben), der höher ist als die Welt und von dem wir sagen: "Man stellte sich dich vor, doch nicht nach deinem Sein, verglich dich nach deinen Taten" (Anim Semirot), und dass am Ende der Umkehr der G~ttesname des Seins (im genannten Vers "Ewiger") gleich sein wird "deinem G~tte" (elohecha), da elohimden gleichen Buchstabenwert (86) hat wie "die Natur" (hateva). Die anwesenden Toragelehrten waren von diesen Worten sehr bewegt, auch der Zaddik Rabbi Suscha von Annipoli, der allerdings einschränkte: Die Worte des Magid sind zu hoch und erhaben für mich; Umkehr (Tschuwa) bedeutet für mich [nach den jeweiligen hebräischen Anfangsbuchstaben der Verse]:  

T – "Untadlig sollst du sein gegen den Ewigen deinen G~tt" (Dt. 18,13) 
sch – "Ich nehme den Ewigen mir stets vor Augen" (Psalm 16,8) 
u – "und liebe deinen Nächsten wie dich selbst" (Lev. 19,18) 
w – "Auf allen deinen Wegen merk' auf ihn" (Sprüche 3,6) 
a – "demütig wandele vor deinem G~tte" (Micha 6,8)

Auf den ersten Blick wurden hier zwei verschiedene Ansichten zur Umkehr geäußert. Nach dem Magid bezieht sich der Prozess der Umkehr auf die ganze Welt, entsprechend dem Prophetenworte: "Und der Ewige wird König sein über die ganze Erde; an selbigem Tage wird der Ewige einzig sein und sein Name einzig" (Secharja 14,9), wohingegen Rabbi Suscha die Umkehr zum Bereich des persönlichen Verhaltens des Menschen rechnet. In Wirklichkeit aber besteht hier aber gar kein Widerspruch, denn beide zielen auf dieselbe Sache. Die Umkehr gleicht einer Leiter, die auf dem Erdboden steht, deren Spitze aber in den Himmel reicht, wobei der Magid von der Spitze der Leiter erzählte, Rabbi Suscha aber von den unteren Stufen.
 
Aus den Midraschim geht hervor, dass die Tora nicht nur der Welt voran ging, sondern "G~tt in die Tora schaute und die Welt erschuf". Dahinter steht die Idee von der Tora als Plan der Welt, und nach diesem Plan schuf G~tt die Welt. Nur dass andere Midraschim besagen, es bestehe ein Unterschied zwischen dem Plan der Schöpfung und deren praktischer Verwirklichung, wie es in der Erklärung des Raschikommentars zum ersten Vers der Tora heißt: "Zuerst bestand die Absicht, auf Grund der Gerechtigkeit zu erschaffen, da er aber sah, dass die Welt dann nicht bestehen könne, schickte er die Barmherzigkeit voran und verband sie mit der Gerechtigkeit".

Oder wie die Deutung zu Gen. 1,11 "Fruchtbaum Frucht tragend" – "der Geschmack des Baumes gleiche dem Geschmack der Frucht, sie aber tat nicht so, sondern die Erde brachte nur Bäume hervor, die Früchte trugen, aber der Baum selbst war keine Frucht" (Raschi). Diese Unterschiede resultierten aus dem allgemeinen Niedergang, der sich zur Zeit der Schöpfung abspielte, den Rabbiner Moscheh Chajim Luzatto in seinem Buch "138 Tore der Weisheit" beschrieb: "Die Welten wurden in einer Weise geschaffen, die ihnen einen Aufstieg von ihrer Stufe ermöglichte, denn dazu gingen sie hernieder zur Zeit des Bruches – damit sie jeweils ein wenig aufsteigen, bis alles wieder zur vollkommenen Stufe zurück kehrt wie vor dem Bruch".

Aber zu dem Niedergang an sich lässt sich fragen: Der Herr der Welt ist doch allmächtig, warum schuf er die Welt nicht von Anfang an perfekt und hätte ihr damit den Niedergang erspart? Die Antwort lautet: Die Schöpfung wurde mit Mängeln geschaffen, damit der Mensch etwas zu vervollkommnen habe, wie es heißt: "..welches er, G~tt, ins Dasein gesetzt hatte, es fort zu gestalten" (Gen. 2,3). Zusätzlich zum Niedergang der Welt zur Zeit der Schöpfung erkennen wir einen weiteren Niedergang als Folge der Sünde des ersten Menschen, und auch dieser Niedergang wird am Ende korrigiert werden, wie Rabbiner Luzatto in seinem Buch "Da'at Tewunot" zur Sünde des ersten Menschen schrieb: "Wir haben hier drei Unterteilungen zur Existenz des Menschen: erstens seine Existenz vor der Sünde, zweitens seine Existenz nach der Sünde, drittens seine Existenz, wie sie hätte sein können, hätte er nicht gesündigt, und das ist die Existenz in der kommenden Zukunft".

Über diese beiden Niedergänge redete der Magid in seinem Vortrag, dass Tschuwa nicht nur die Korrektur der Sünden des Menschen entsprechend seiner freien Entscheidung bedeutet, vielmehr sei der vollkommene Prozess derTschuwa die Rückkehr der Welt zu ihrem ursprünglichen Plan. Rabbi Suscha wollte dem Magid nicht widersprechen, sondern nur den Versammelten mitteilen, dass man zu dieser großen Tschuwa, von der der Magid redete, nur gelangen kann, wenn ihr die Umkehr von den Sünden in unserer Welt voran geht; unter Anwendung der von Rabbi Suscha genannten fünf Prinzipien der irdischen Tschuwa legen wir das Fundament für die Leiter, die am Ende des Weges mit der Spitze in den Himmel reicht.
 
Der Autor ist Mitglied bei: Kimizion
 

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