Neuanfang

An dieser Stelle sollte sich jeder einen kühlen und klaren Kopf verschaffen, indem man sich entscheidet, was man tun will, ...

5 Min.

Rabbiner Shalom Arush

gepostet auf 05.04.21

Wir nähern uns dem Jom Kippur – dem allgemeinen Versöhnungstag! Dabei muss man wissen, dass dieser Tag sich rund um das Thema Neuanfang dreht.

An dieser Stelle sollte sich jeder einen kühlen und klaren Kopf verschaffen, indem man sich entscheidet, was man tun will und was man an sich oder an seinem Leben verändern möchte usw. Doch das Wichtigste bei allem ist, nicht zu vergessen, dass man einen Neuanfang nicht nur einmal im Leben wagen kann! Denn ein Neuanfang lässt sich jeden Augenblick bis zur letzten Sekunde des Lebens immer wieder stets verwirklichen!!! Wer sich das hier Gesagte klar macht und verinnerlicht, wird sich bis zum Ende seines Lebens jung fühlen.
 
Rabbi Nachman aus Breslev erzählte einst, dass er alles in seinem Leben nur erreichen konnte, weil er sich wie blind nach dem Muster dieser Erkenntnis verhalten hatte, er also stets einen Neuanfang startete. Sein treuer und ergebener Schüler Rabbi Nathan verewigte dies im Buch Rabbi Nachmans: Sichot Ha´ran. Dort heißt es auf Seite 6:
 
„Seine Gewohnheit war es, dass er schlichtweg jeden Augenblick aufs Neue begann! Wenn er z.B. von seinem Lebensstandpunkt stürzte, dann fiel er deswegen nicht in Verzweiflung oder Traurigkeit. Im Gegenteil, er sagte einfach und aufmunternd zu sich selbst, dass er nun erneut einen Neuanfang wagen werde und zwar einen solchen, als ob er noch niemals einen Schritt auf Gott zugegangen wäre. Nach diesem Schema verhielt er sich immer und immer wieder. Es kam dabei sogar einige Male vor, dass er an ein und demselben Tag mehrmals von Neuem anfing …!“
 
Wenn Rabbi Nachman davon überzeugt war, dass er alles in seinem Leben nur aufgrund dieses Ratschlags: – Neuanfang – erreicht hat und seine Sorgen nur aufgrund der mehrmals an ein und demselben Tag sich wiederholenden Neuanfänge bewältigte, dann müssen wir uns erst recht an dieser Lebensführung orientieren, die zugleich auch den Willen Gottes widerspiegelt!
 
Und eben dies steht ausdrücklich im 5. Buch Moses (Kapitel 27, Satz 9): „…am heutigen Tag bist du zu dem Volke deines Ewigen Gottes geworden.“ Raschi (Rabbi Salomo ben Isaak) fügte ergänzend hinzu, dass der Satzteil „am heutigen Tag“ nichts anderes bedeutet, als dass Gott an jedem einzelnen Tag mit jedem Einzelnen Seinen Bund schließt, einen Bund, den Rabbi Nachman so bezeichnete: „Nein zur Verzweiflung!!!“ Demnach muss ein Mensch, was auch immer ihm widerfuhr, sich sagen: „Ich beginne jetzt, so als ob ich gerade erst auf die Welt gekommen bin, erneut von vorne, und nun, von diesem Augenblick an, werde ich mich Gott nähern … !“
 
Ja, von dem Augenblick an – was bedeutet: Ab jetzt beginne ich von vorne, mache also einen Neuanfang! – So muss ein Mensch sein Leben leben, so und nicht anders!! Denn man stelle sich bitte einmal vor, was geschehen würde, wenn ein Pkw-Fahrer, anstatt nach vorne zu schauen, andauernd nur nach hinten schaut!! Und sich darüber hinaus noch auf das fokussiert, was mal war und geschehen ist, anstatt mit seinem Kopf bei der Sache zu sein!! – Das Ergebnis wäre ein fataler Verkehrsunfall oder sogar ein folgenschweres Verkehrschaos, bei dem Polizei und Krankenwagensanitäter gefordert wären.
 
Wenn du einem solchen Fahrer begegnen würdest, wäre dir mit Sicherheit bange zumute…
 
Dieses Beispiel eines solchen PKW-Fahrers verkörpert jenen klassischen Menschen, der in seinem Leben nur nach hinten schaut, sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt oder ständig einer früher mal verschütteten Milch hinterherjammert. Auf solch einen Menschen muss man zugehen und ihn fragen: „Weshalb schaust du andauernd ununterbrochen nach hinten!? – Schau nach vorne, denn da spielt die Musik deines Lebens! – Wenn du wirklich in deinem Leben etwas bedauerst und wiedergutmachen oder verändern möchtest, dann musst damit aufhören, in deiner Vergangenheit zu wühlen. – Denn es kann dir nur mit dem Gesicht nach vorne gelingen, etwas zu erreichen, zu verbessern oder zu verändern!!“ Auch wenn es einem Menschen völlig düster und schwarz erscheint, – jede Tat, die er in seinem Leben mit dem Gesicht und der Seele nach vorne geht, bringt etwas Licht in das bisher Dunkle seines Lebens. – Und jedes auch noch so winzige Licht verdrängt eine Menge Dunkelheit!! Der erste Schritt zur Erlangung dieses wohltuenden Lichtes ist ein Neuanfang! Darüber hinaus bedeutet dies, dass ein Mensch all das Dunkle, also all sein Böses in sich, durch gute Taten vollends korrigieren und ins Licht bringen kann. – Und auch hierauf wies uns bereits Rabbi Nachman hin: „Schaut nicht auf eure schlechten Seiten. – Bemüht euch ausschließlich, Gutes zu tun, denn dadurch fällt das Schlechte und Böse von alleine weg!“
 
Doch dies stellt nun die Frage in den Raum, wann es doch erlaubt ist, auf seine schlechte Seite zu blicken!? Die Antwort darauf lautet: Die Hitbodedut (die Einsamkeitssuche des Menschen mit Gott), in der man den gesamten gestrigen Tag ab der gestrigen Stunde der „Einsamkeitssuchein einem Gespräch mit Gott Revue passieren lässt. Es ist sehr wichtig für diejenigen Leser oder Leserinnen, die bisher noch nicht Bekanntschaft mit dem Begriff der täglichen „Hitbodedut“ zwischen sich selbst und Gott machten, ihnen diesen Begriff zu erläutern: Man kann diese Stunde an jedem Ort, zu jeder Zeit, jeder in seiner Sprache, mit der ihm eigenen persönlichen Ausdrucksweise und Formulierung ausführen, und sei diese noch so einfach oder anspruchslos. Wenn ein Mensch Hunger hat, darf er zuvor essen. Wenn man müde ist, kann man sich zuvor schlafen legen. Wenn ihm warm ist, darf er die Klimaanlage einschalten. Wenn er friert, kann er die Heizung aufdrehen. Er kann dabei umhergehen, stehen, sitzen oder liegen. Mit anderen Worten, jeder Mensch kann sich seine ihm passenden Bedingungen schaffen, um die „Hitbodedut“ zwischen ihm und Gott mit klarem Kopf hinsichtlich der dazu notwendigen Besinnung zu erreichen. Hauptsache ist, er schüttet sein Herz aus vor dem Schöpfer der Welt. Ein geeigneter Ort für die „Hitbodedut“ ist ein Ort, an dem man alleine ist, wie z.B.: Ein Wald, in dem man spazieren gehen kann oder ein Feld oder schlichtweg nur ein Zimmer. Aufgrund dieser stillen und besinnlichen Atmosphäre kann ein Mensch sich nun über alle Begebenheiten und Probleme mit Gott unterhalten, sich mit Ihm über alles beraten, sich bei Ihm entschuldigen usw. Ohne die tagtägliche„Hitbodedut“, der tagtäglichen Rechenschaftsabgabe vor Gott, an der ein Mensch aufarbeitet, was er von seiner gestrigen „Hitbodedut“ bis zur heutigen alles getan hat, wird es ihm wohl nicht gelingen, das mit Abstand größte und schönste Geschenk, das es auf dieser Welt gibt, in Empfang zu nehmen: Das Wissen, dass alles, was geschieht, immer nur zum Guten ist. So wie es heißt: „Das Wissen eines Menschen, dass alles, was ihm widerfährt, zu seinem Guten ist, gleicht dem Zugang zum Paradies, dem Garten Eden also!“ Des Weiteren sagte Rabbi Nachman: „Die Hitbodedut ist das Höchste und Größte, was es auf dieser Welt gibt!“ Demnach muss ein Mensch sich dessen bewusst sein, dass man unmittelbar nach der Beendigung der einstündigen Einsamkeitssuche, der Hitbodedut, die Gedanken und das Erkennen der eigenen schlechten und bösen Seite wieder
vergessen muss.
 
Ich sage den Personen, die mich aufsuchen, immer wieder aufs Neue, dass sie alles Schlechte an ihnen oder alle ihre begangenen Sünden völlig aus ihrem Gedächtnis streichen müssen, nachdem sie sich bei Gott dafür reuevoll entschuldigt haben.
 
Zu meinem Bedauern suchen mich ständig Menschen auf, die sowohl moralisch als auch mental in einem miserablen Zustand sind. Sie kommen völlig verzweifelt und traurig, sich also absolut alt fühlend zu mir. Ich mache ihnen deswegen natürlich keine Vorwürfe, allerdings kann ich ihren Gedankengängen nicht wirklich folgen, da es sich bei jedem Menschen in Wirklichkeit um einen jungen Menschen handelt. Das gilt auch für jene, die bereits von den gelebten Jahren her als alt einzustufen sind, da ja auch ihre Seele immer frisch und jung ist. Daher frage ich jeden Einzelnen, der mich aufsucht: „Was ist denn passiert? … Glaube mir, es ist alles nur halb so wild, daher wage einen Neuanfang und mach dir keine Sorgen mehr, schließlich hast du ja noch ein langes Leben vor dir …!“ Allerdings hat der böse Trieb manche von ihnen schon völlig unter seiner Kontrolle, und daher sind einige nicht einmal mehr dazu bereit, einer meiner Empfehlungen zu folgen. Rabbi Nathan aus Breslev schreibt zu diesem Problem: „Der Großteil der Menschheit fühlt sich alt!“ In der Tat, die meisten von uns bilden sich regelrecht hysterisch ein, dass sie den Höhepunkt ihres Lebens bereits überschritten haben und dass es nun nicht mehr in ihrer Macht liegt, etwas in ihrem Leben zu verändern oder dergleichen. Doch dies ist völlig falsch und deshalb darf ein Mensch durch diese Denkweisen sein Leben nicht wegwerfen!! Du kannst immer jung bleiben, wenn du nur stets nach vorne schaust … einen Neuanfang wagst …

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