Mordlehre

Als Jude begegnet mir im Alltag durchaus Antisemitismus. Wenn ich also unterwegs bin, begegnet mir zwar nicht viel - aber doch immer wieder zu viel - davon.

3 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 05.04.21

Als Jude begegnet mir im Alltag durchaus Antisemitismus. Wenn ich also unterwegs bin oder meine E-Mail Liste checke, begegnet mir zwar nicht viel – aber doch immer wieder zu viel – davon. Oft werden die völlig unakzeptablen Beschimpfungen, die ich erdulden muss, mit dem bekannten Klischee begründet: Juden sind gefährlich, weil sie grundlos hassen und auch gerne töten.
 
Als ich bei einem meiner Wienbesuche einen Spaziergang durch die Straßen machte, trat ein junger Österreicher auf mich zu und meinte: „Du und deine Sippe, ihr habt Jesus ermordet! Und bis heute hasst ihr Juden ihn.“
 
Ich war zunächst sehr erstaunt, wie dumm und unbelehrbar dieser junge Mann war, seine Worte hatten ein Niveau das primitiver nicht sein konnte. Wie dem auch sei, wir Juden haben Jesus weder getötet noch hassen wir ihn! Solche Behauptungen sind purer Antisemitismus – Punkt!
 
Antisemitismus, ist nun fast zweitausend Jahre lang vor allem durch die Institution Kirche in unsere Kultur eingeflossen. Der religiös begründete Anti-Judaismus ist eines der klassischen Merkmale der kirchlichen Abgrenzung und Identität gewesen. Dass die Juden Jesus ermordet haben, weil sie ihn "hassen" ist eine Lüge, die bis zum zweiten Vatikanischen Konzil 1965 durch die Kirche verbreitet wurde. Leider haben sich antisemitische Vorurteile, durch gesellschaftspolitische Legitimierung und Legalisierung von Antisemitismus, über die Jahrhunderte erhalten!
 
Fakt ist, dass Juden Jesus weder getötet haben, noch ihn bis heute hassen. Das Zweite Vatikanische Konzil rückte mit der Denkschrift Nostra Aetate von 1965 erstmals von der jahrhundertelangen Jesus-Mordlehre ab, indem dort u.a. gesagt wurde: „Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied, noch den heutigen Juden zur Last legen…“

Außerdem dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass ja die Kirche selbst immer gelehrt hat und lehrt, dass Jesus in Freiheit sein Leiden und seinen Tod auf sich nahm.

Wie du selbst siehst, haben Juden nichts mit der Ermordung von Jesus zu tun und auch hassen wir ihn nicht, er war ja schließlich einer von uns! Ein Jude, so wie ich und so wie alle anderen Juden auch. Und auch wenn jemand gerne Jesus als Gottes Sohn sieht oder so denkt, dann hassen wir ihn natürlich auch nicht, warum auch, Jesus war ja – wie bereits gesagt – tatsächlich ein Jude und jeder Jude und jede Jüdin ist ein Gotteskind, so wie es in der Thora ausdrücklich heißt: „Ihr seid Kinder des Ewigen, eures Gottes!“ (5. Buch Moses, Kapitel 14, Satz 1)

 

Zum Thema gehörende Artikel:

Warum Juden nicht an Jesus glauben … und es auch nie werden.

Die Jungfrauengeburt – eine Erfindung?

Unterschiede zwischen Judentum und Christentum

Tora vs. NT

Am 21. September 1993 traf sich  Papst Johannes Paul II. mit Israels Oberrabbiner Israel Meir Lau. 

Der in religiösen Fragen sehr mutige Rabbi Israel Meir Lau wurde 1937 in Pietrokow in Polen geboren. Er konnte daher mit dem polnischen Papst, wie unter Landsleuten üblich Polnisch reden, und die beiden scheinen sich in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo gut verstanden zu haben. Sein Vater, Rabbi Mosche Chaim Lau, wurde zusammen mit seiner Gemeinde von den Nazis in Treblinka ermordet. Israel Meir verbrachte die Jahre der Shoa im Ghetto von Pietrokow, dann im Arbeitslager von Schenestoschow und schließlich im Konzentrationslager Buchenwald, aus dem er am 11. April 1945 durch die US-Army befreit wurde.

Vielleicht auch wegen der persönlichen Vergangenheit des Rabbiners hatte der Papst bei seinem Treffen betont, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Katholische Kirche von allen Antisemitismen zu reinigen und damit das jüdische Volk und seine Religion voll anzuerkennen.

In diesem Zusammenhang sagte Rabbi Israel Meir Lau dann dem Papst, dass es keinen Grund gäbe, Juden zu hassen, da in der Menschheit nur im Judentum eine solch große Toleranzbereitschaft und der unerschütterliche Wille für Frieden zu sehen ist. Anschließend zitierte der Rabbi den Satz: „Alle Völker mögen wandeln, jedes im Namen seines Gottes. Wir aber wollen wandeln im Namen des Ewigen, unseren Gottes, (dem Einen und Einzigen Gott) immer und ewiglich!“ Der theologisch bewanderte Papst lächelte daraufhin zustimmend und sagte: „Micha, o Micha“, er meinte damit natürlich den jüdischen Propheten Micha, der eben genau diese Worte immer wieder gepredigt hatte, weil sie unmissverständlich klar machen, wie sehr das Judentum toleranzbereit und friedenswillig ist.

Papst Benedikt XVI. führt in seinem unlängst erschienenen zweibändigen Werk „Jesus von Nazereth“ aus, dass natürlich nicht die Juden für den Tod Jesu verantwortlich sind. Er setzt darin den Weg des 2. Vatikanischen Konzils fort.

Ohne den Kreuzestod Jesu gäbe es gar keine christliche Kirche, weshalb der Mordvorwurf an die Juden völlig absurd ist. Christen, die solche Vorwürfe ernsthaft formulieren, ziehen sich selbst den Teppich unter den Füßen weg auf dem sie stehen, mit anderen Worten, sie haben dann keinerlei Glauben mehr.
 
Zu behaupten, Juden würden von Natur aus hassen, töten oder  eine Gefahr für andere Menschen darstellen, ist daher zutiefst  antisemitisch und außerdem ist es objektiv gesehen ein Verbrechen, weil es sich bei solchem Denken um den Straftatbestand der üblen Nachrede, des Rufmordes, der Unterstellung von Straftaten und vieles mehr handelt.

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