Frappierende Bibel-Lesungen

In allen Bereichen der Wissenschaft erweist sich eine Spezialisierung als unumgänglich. Auf dem Gebiet des Tora-Lernens verhält es sich nicht anders.

2 Min.

Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 05.04.21

Rabbiner Elchanan Samet wird 60

In allen Bereichen der Wissenschaft erweist sich eine Spezialisierung als unumgänglich. Auf dem Gebiet des Tora-Lernens verhält es sich nicht anders. Eine Gruppe von Gelehrten beschäftigt sich intensiv mit religionsgesetzlichen Problemen, eine andere Gruppe studiert vorwiegend solche Texte, die weltanschauliche Fragen zur Sprache bringen. Und dann gibt es Forscher, deren Interesse hauptsächlich der Bibel-Auslegung gilt. Zu den hervorragenden israelischen Bibelexegeten unserer Zeit gehört Rabbiner Elchanan Samet, der am Pessachfest seinen 60. Geburtstag feiern kann. Berühmt geworden ist dieser in Kfar Etzion (in der Nähe von Bethlehem) lebende Tora-Lehrer durch zahlreiche Veröffentlichungen zu verschiedenen Teilen der Bibel.

Die Interpretationen von Samet beeindrucken durch ihre Gründlichkeit und ihren Glanz. Der Meister deckt Zusammenhänge auf, die der durchschnittliche Leser leicht übersieht. Samet greift mitunter Fragen auf, die schon oft diskutiert worden sind; aufgrund seiner subtilen Analysen scheut er sich nicht, sogar Kommentare angesehener Bibelexegeten in Frage zu stellen. Oft überrascht Samet durch originelle und überzeugende Lösungen für die aufgezeigten Schwierigkeiten.

So diskutiert Samet die Frage, warum die Erzählung über die letzte der 10 ägyptischen Plagen durch eine Passage mit einer Reihe halachischer Vorschriften (Exodus Kap.12) unterbrochen wird. Wem ist schon aufgefallen, dass die zwei Hälften der Geschichte von der Tötung der Erstgeborenen jeweils 4 Verse lang sind und dass die Leitwörter "Mizrajim" und "Erstgeborener" in beiden Teilen jeweils 7 bzw. 4 mal vorkommen? Samet weist nach, dass der dazwischengeschobene Abschnitt mit den religionsgesetzlichen Vorschriften nicht bloß den Fluss der Erzählung, sondern auch die Chronologie der Ereignisse stört – und dennoch ist er sinnvoll platziert . Für eine nichtchronologische Anordnung der Texteinheiten sprechen nicht nur bestimmte "technische Gründe"; die Unterbrechung in der Darstellung der 10. Plage ist dadurch gerechtfertigt, dass sie den Wendepunkt der ganzen Geschichte markiert. Das Ziel der Plagen wurde jetzt erreicht: die Unterdrückung der israelitischen Sklaven endet, und der Auszug aus Ägypten fängt an. Außerdem signalisiert die in die Erzählung einfügte halachische Passage, dass Mosches Rolle sich ändert: aus dem Verhandlungsführer mit Pharao wird nun der Lehrer des Volkes, der Bote Gottes, der dem jüdischen Volk die ersten Gebote übermittelt.

Dass Samet einen eigenen Weg geht, kann man besonders deutlich an seinem 2012 erschienenen Psalmen-Buch erkennen. Ungewöhnlich ist die Schreibweise der 18 Psalmen, die Samet auf  500 Seiten auslegt. Da es sich bei den Psalmen um Lieder handelt, sollte man sie nach Ansicht des Autors wie Gedichte schreiben und nicht wie Prosa. Diese Schreibart deckt Reime auf, die sonst nicht gleich auffallen(z.B. in Psalm 122). Die Leistung des Interpreten besteht darin, die Verse auf Grund bestimmter Merkmale in Strophen einzuteilen und das jeweils behandelte Thema und seine innere Entwicklung herauszuarbeiten. Die Ergebnisse der Schritt um Schritt nachvollziehbaren Analysen von Samet sind oft frappierend. Bibel-Kreise können von seiner Arbeit enorm profitieren.

Dem Jubilar verdanken wir neben Bibel-Lesungen lehrreiche Studien über den Kodex von Moses Maimonides. Samet erwähnt das Werk von Maimonides hin und wieder auch in seinen Abhandlungen zum Wochenabschnitt. So erklärt er, warum Maimonides –  im Gegensatz zu Nachmanides  – die Erinnerung an die Offenbarung am Berg Choreb (Deuteronomium Kap. 4,Verse 9 u 10) nicht in die Liste der 613 Tora-Gebote aufgenommen hat.

 Auf das angekündigte nächste Buch von Rabbiner Samet – es handelt sich um Betrachtungen zu Wajikra, Bamidbar und Dewarim –  warten bereits viele Studierende mit großer Spannung. Denn frommen Menschen  bereitet es eine tiefe Freude, von einem kenntnisreichen Lehrer bislang unbekannte Feinheiten der Tora zu erfahren. 
 

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