Alle Zweifel beiseite

Es ist schwer, Zivilcourage zu zeigen. Wir müssen verstehen, dass wir nicht immer zum eigenen Vorteil handeln dürfen. Die Tora mahnt uns zur Zivilcourage.

3 Min.

Rabbiner Elias Dray

gepostet auf 18.03.21

Die Tora lehrt, dass man die Mizwot tun soll, auch wenn andere darüber spotten

 

Es ist schwer, Zivilcourage zu zeigen. Schauen wir nur, wie wenige sich in der Nazizeit gegen Ungerechtigkeit und Menschenverachtung gewehrt haben. Aber der Mensch muss verstehen, dass er nicht immer zum eigenen Vorteil handeln darf. Die Tora mahnt uns zur Zivilcourage.

 

Im Wochenabschnitt Wajeschew versucht Reuven, Josef zu retten. Er möchte nicht am Mord seines Bruders beteiligt sein. Nach Meinung der Brüder war Josef ein Verbrecher. Wegen seiner Träume fürchteten sie, er werde sie eines Tages unterwerfen und ihnen nach dem Leben trachten. Dafür, so meinten sie, verdiene er den Tod. Reuven wollte damit nichts zu tun haben. Er schmiedete einen Plan und überredete seine Brüder, Josef in eine Grube zu werfen, statt ihn umzubringen. Reuven hoffte, später zurückzukehren und Josef aus der Grube zu befreien.

 

Der Midrasch zum Buch Ruth sagt: „Hätte Reuven gewusst, dass G’tt aufschreiben würde: ,Reuven ging und rettete seinen Bruder‘, hätte Reuven Josef furchtlos und in aller Öffentlichkeit auf seinen Schultern zu seinem Vater zurückgetragen. Da er nicht wusste, dass diese Begebenheit in der Tora niedergeschrieben würde, entwarf er einen geheimen Plan, der letztlich nicht ganz von Erfolg gekrönt war.

 

Der Midrasch erwähnt an der gleichen Stelle, dass Aron, als Mosche aus Midian zurückkehrte, seinem Bruder mit Musikinstrumenten und Tanz entgegengegangen wäre, wenn er gewusst hätte, dass dies in der Tora festgehalten würde. Ferner erzählt der Midrasch, dass Boas Ruth eine üppige Mahlzeit vorgesetzt hätte, statt ihr ein paar Weizenkörner anzubieten, wenn er gewusst hätte, dass G’tt seine Großzügigkeit bekannt machen würde.

 

Man könnte annehmen, der Midrasch möchte ausdrücken, dass Reuven, Aron und Boas dem Ruhm nachjagten: Hätten sie gewusst, dass die Presse da sein würde, hätten sie sich besser verhalten. Da sie jedoch nicht erwarteten, in die Schlagzeilen zu kommen, strengten sie sich nicht besonders an. Doch offensichtlich möchte der Midrasch Reuven, Aron und Boas loben, denn sie alle vollbrachten gute Taten. Was aber bedeutet dann die Aussage „Hätten sie gewusst, … dann hätten sie sich mehr Mühe gegeben“?

 

Der Midrasch möchte Folgendes ausdrücken: Reuven, Aron und Boas waren nicht an Rampenlicht und Schlagzeilen interessiert. Sie hatten vielmehr große Zweifel, ob ihre Taten richtig waren! Schließlich trat Reuven gegen seine Brüder auf, ein Beit Din, ein Gerichtshof der Stämme Israels. Zehn Brüder legten das Gesetz aus und kamen zu dem Schluss, dass Josef ein Verfolger, also des Todes schuldig war. Reuven befand sich in der Minderheit. Vielleicht hatten die Brüder recht, und Josef verdiente tatsächlich den Tod. Reuven hatte Zweifel, deshalb zögerte er. Hätte er gewusst, dass G’tt ihm zustimmte und mit seiner Haltung einverstanden war, wäre Reuven viel mutiger gewesen.

 

Als Aron Mosche entgegenging, hatte auch er seine Zweifel: „Die Leute werden sagen, ich sei verrückt. Ich bin der ältere Bruder. Der jüngere Bruder sollte dem älteren Respekt entgegenbringen – nicht umgekehrt.“ Hätte Aron gewusst, dass G’tt ihm vollkommen zustimmen würde, wäre er ihm ohne Befangenheit und Zögern entgegengegangen.

 

Ähnlich war es bei Boas: Als er der jungen Ruth zu essen gab, hatte er Bedenken, dass die Leute die Augenbrauen heben und kichern würden: „He, was geht da vor?“ Boas sorgte sich darum, was die Leute wohl sagen würden. Aber hätte er gewusst, dass G’tt gänzlich mit ihm einverstanden war, hätte er „sein Bestes“ gegeben.

 

Der Midrasch fährt fort: „In früheren Zeiten vollbrachte eine Person eine Mizwa, und der Prophet schrieb sie auf. Wenn heute jemand eine Mizwa tut, und die Leute spotten – wer schreibt dann auf, wer recht hatte?“

 

Der Midrasch beantwortet seine Frage selbst: „Elijahu wird es aufschreiben, und der königliche Messias und G’tt selbst werden zustimmend unterschreiben. Deshalb steht geschrieben: ,Dann sprechen die G’ttesfürchtigen zueinander, und G’tt hört zu und vernimmt es. Und es wird eingeschrieben in das Buch der Erinnerung vor Ihm für die G’ttesfürchtigen, die Seinen Namen achten‘“ (Malachi 3,16).

 

Der Prophet Malachi spricht von einer Epoche vor dem Kommen des Messias. In dieser Zeit werden diejenigen ausgelacht, die die Mizwot halten. Man wird zu ihnen sagen: „Das sind die Ewiggestrigen; sie sind nicht modern; sie sind nicht ,in‘“. Es wird so aussehen, ols ob diese anderen Kräfte die Oberhand haben. In diesen Zeiten werden die Menschen vielleicht zurückhaltend sein und nur zögernd zu ihrer Meinung stehen. Wieder werden die Leute glauben: „Vielleicht haben die anderen recht, und wir sind auf dem Holzweg.“ Der Prophet Malachi beschreibt eine Zeit, in der die Menschen sich vielleicht schämen werden, das zu tun, was sie als richtig empfinden, genau wie Reuven und Aron und Boas.

 

G’tt bezeugt für das Ende der Tage, vor der Ankunft des Moschiach: „Tue, was du als richtig empfindest. Hüte die Tora; hüte deinen Glauben. Sorge dafür, dass das Feuer weiter brennt. Ich und Eliahu, der Prophet, und der Moschiach selbst werden über dich schreiben, dass du die ganze Zeit über im Recht warst.“

 

Der Autor ist Jugendrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde München und Mitglied der ORD.

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