Eine Betrachtung zum Sukkot-Fest

Warum werden fast alle Sukkot mit Früchten und mit Bildern geschmückt?

4 Min.

Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 05.04.21

VERGEGENWÄRTIGUNG DER WÜSTENZEIT

 

Warum werden fast alle Sukkot mit Früchten und mit Bildern geschmückt? Weil es im Talmud (Schabbat 133 b) heißt, dass man bei der Anfertigung bzw. beim Kauf von Objekten, die für eine Gebotsausübung erforderlich sind, auf die Schönheit dieses Gegenstandes Wert legen soll. Der talmudische Text nennt einige Beispiele, u.a. eine prächtige Laubhütte. Gedanken über ästhetische Fragen bei der Sukkot-Gestaltung sind also durchaus angebracht. Wesentlich wichtiger ist es jedoch, dass man sich mit der Frage beschäftigt, warum die Tora von uns Juden das Wohnen in einer Laubhütte verlangt.
 

Über den Grund dieser Mitzwa brauchen wir nicht zu spekulieren, denn die Schrift erklärt uns den Sinn dieses Gebotes: "In Sukkot sollt ihr wohnen sieben Tage; alle Eingeborene in Israel sollen wohnen in Sukkot. Damit eure Nachkommen es wissen, dass in den Hütten ich habe wohnen lassen die Kinder Israels, als ich sie aus dem Lande Mizraim führte:Ich bin der Ewige, euer Gott" (Wajikra, Kap.23, 42 und 43). Mit anderen Worten gesagt: Das Wohnen in Sukkot soll uns jedes Jahr im Herbst eine bestimmte Epoche aus der Gründungszeit wieder vor Augen führen.
 

Warum ist das Wissen um die eigene Geschichte überhaupt wichtig? Weil Menschen von den Erfahrungen ihrer Vorfahren profitieren können. Wer die richtigen Lehren aus der Geschichte zieht, kann verhängnisvolle Irrwege in der Gegenwart vermeiden. Historisches Wissen hilft uns, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
 

Eine eigentümliche Erinnerungskultur kennzeichnet das jüdisch-religiöse Leben. In der Pessach-Nacht, in der wir die Errettung aus der Sklaverei in Ägypten feiern, liest man in der "Haggada": "In jedem Geschlecht ist der Mensch verpflichtet, sich vorzustellen, er selbst sei aus Ägypten gezogen." Eine Identifikation mit den Vorfahren findet ebenfalls am Sukkot-Fest statt; in gewisser Weise ahmen wir freiwillig das Leben derjenigen nach, die in der Wüstenzeit in Sukkot leben mussten.
 

Das biblische Gebot, in Sukkot zu wohnen, hat, wie nicht anders zu erwarten, mehrere Deutungen erfahren. Angeführt sei hier eine Interpretation, die Rabbiner S. R. Hirsch 1837 in seinem großartigen Buch "Chorew" erläutert hat. In der Übergangszeit zwischen der Befreiung aus der Sklaverei und dem Einzug in das Gelobte Land waren die Israeliten auf den göttlichen Schutz, den man als Vorsehung bezeichnet, angewiesen. Man kann von einer Zeit der Einübung in Gottvertrauen (hebr.: "Emuna") sprechen. Damit diese Grunderfahrung nicht in Vergessenheit gerät, errichten Juden jedes Jahr nach Jom Kippur schöne Laubhütten!
 

Rabbiner Hirsch betont, dass die in der Wüste erlernte Glaubenshaltung nie an Aktualität verloren hat : "Du aber, wieder in die Wüste zerstreutes Israel, ziehe in die Sukka und erkenne, dass Gott deine Väter in ihrer ersten Wüstenwanderung erhielt – Er ist auch mit dir in dieser Wüstenwanderung." Die Existenz des jüdischen Volkes trotz zahlreicher Verfolgungen beweist seiner Ansicht nach die Wirksamkeit der Vorsehung.(Auch nichtjüdische Denker haben übrigens im Fortbestand des jüdischen Volkes einen Gottesbeweis gesehen.) Niemand behauptet, eine Haltung des Gottvertrauens sei in unseren Tagen leicht zu erringen; ihre zentrale Bedeutung im jüdisch-religiösen Leben ist jedoch unbestreitbar.
 

Gegen Ende der Wüstenzeit bemerkte Moses in einer seiner letzten Reden: "Und du sollst gedenken des ganzen Weges, den dich geführt der Ewige, dein Gott, schon vierzig Jahre in der Wüste, um dich leiden zu lassen, um dich zu versuchen, um zu erkennen, was in deinem Herzen ist: ob du beobachten wirst seine Gebote oder nicht. So ließ er dich leiden und hungern und speiste dich mit dem Man, das du nicht gekannt und nicht gekannt deine Väter, um dich zu lehren, dass nicht durch das Brot allein der Mensch lebt, sondern durch alles, was aus dem Munde des Ewigen geht, lebt der Mensch" (Dewarim,Kap.8, 2 und 3). Das jüdische Volk wird hier ermahnt, die in der "Schule der Wüstenwanderung" gemachten Erfahrungen stets zu beherzigen. Für die Zukunft des auserwählten Volkes ist es von entscheidender Bedeutung, die Beziehung zum Ewigen nicht aus dem Blick zu verlieren; durch Befolgung der Tora-Gebote bleibt der Kontakt erhalten. Der damals geschlossene Bund (hebr.: "Brit") gilt auch heute noch und verpflichtet uns Juden, in Gottes Wegen zu wandeln.
 

Die Wüstengeneration hat zu spüren bekommen, dass es Menschen gibt, die den Wunsch hegen, die Israeliten zu vernichten. In der Tora lesen wir: "Gedenke, was dir Amalek getan bei deinem Auszug aus Ägypten. Der dich traf auf dem Wege und deinen Nachtrab erschlug, all die Schwachen hinter dir – du aber warst matt und müde und fürchtetest Gott nicht " (Dewarim, Kap.25, 17 und 18). Manche Juden lesen diese Verse täglich nach dem Morgengottesdienst! In jeder Generation gibt es tatkräftige Judenfeinde. Aber wir haben Gottes Zusicherung, dass die brutalen Gegner Israels ihr Endziel nicht erreichen werden. Allerdings sind wir aufgefordert, treu unseren Teil des Bundes zu erfüllen. Sollte uns die Gottesfurcht abhanden kommen, dann kann ein neuer Amalek plötzlich zuschlagen. Die in der Wüste gelernten Lektionen sollten wir im täglichen Leben beachten.
 

Nach der Betrachtung verschiedener Merk-Sätze wenden wir uns wieder dem Sukkot-Fest zu. Im Talmud (Megilla 31 a) wurde als Prophetenlesung für den ersten Tag Sukkot Kap. 14 des Buches "Secharja" festgelegt. Raschi, der klassische Kommentator, erklärt, die Wahl dieses Kapitels sei deshalb erfolgt, weil hier prophezeit wird, dass eines Tages Nichtjuden das Sukkot-Fest in Jerusalem feiern werden. Der Prophet kündigt denjenigen Völkern, die in jener Zeit nicht am Sukkot-Fest nach Jerusalem pilgern werden, eine harte Strafe an: "Auf sie wird kein Regen fallen" (Vers 17).
 

Beim Hören dieser Prophezeiung drängen sich zwei Fragen auf. Warum sollen die Völker ausgerechnet am Sukkot-Fest nach Jerusalem hinaufkommen und nicht an den anderen Wallfahrtsfesten? Und warum wurde gerade Regenausfall als Strafe angedroht? Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich die Bedeutung von Sukkot klar machen. Wie oben dargelegt, erinnern die Laubhütten an die Vorsehung des Ewigen. Auf Gottes Hilfe sind natürlich alle Menschen angewiesen; durch ihre Pilgerfahrt nach Jerusalem zum Sukkot-Fest demonstrieren die Völker ihre Dankbarkeit für Gottes Segen. Denjenigen aber, die in der vom Propheten angesprochenen Zeit glauben werden, ohne Gottes Fürsorge auskommen zu können, soll dann der Ausfall des Regens eine Lehre erteilen: auch sie können ohne Versorgung durch Gott nicht existieren! Was die Israeliten in der Wüstenzeit erfuhren, werden nach Secharjas Prophezeiung eines Tages alle Völker als wahr und ewig gültig anerkennen.

 

 

Der Autor ist Psychologe und hat an der Universität Köln gelehrt.

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