Hoch und heilig

Berge haben in vielen Religionen eine ganz eigene Symbolkraft. Im Judentum sind es der Har Sinai und der Har Moriah.

3 Min.

Rabbiner Julian Chaim Soussan

gepostet auf 17.03.21

Zwei Berge – Har Moriah und Har Sinai – sind im Judentum ganz zentral. Das wird in diesen Tagen besonders deutlich.

 

Berge haben in vielen Religionen eine ganz eigene Symbolkraft. Im Judentum sind es der Har Sinai und der Har Moriah. An dem einen hat G’tt mit seinem Volk gesprochen, wir haben dort die Tora erhalten. Auf dem anderen haben unsere Patriarchen Abraham, Jizchak und Jakow gebetet, dort standen der Erste und der Zweite Tempel, die heiligsten Orte des jüdischen Gebets.

 

Sinai und Moriah, Tora und Jerusalem: Neben der spirituellen und der historischen gehen sie in diesen Tagen – wie in jedem Jahr – wieder eine kalendarische Verbindung ein. Denn am 6. und 7. Siwan, in diesem Jahr am 31. Mai und 1. Juni, feiern wir Schawuot, das Fest der Tora. Und nur eine Woche zuvor, am 28. Ijar, diesmal am 24. Mai, begehen wir den Jom Jeruschalajim, den Jerusalemtag.

 

 

JERUSALEM

 

Wir erinnern dabei an die Eroberung der Jerusalemer Altstadt und der heiligen Stätten durch die israelische Armee im Juni 1967. Es ist 50 Jahre her, dass der Militärrabbiner Shlomo Goren mit dem Schofar in der Hand und einer Torarolle auf dem Arm vor der Kotel stand. »Die Vision aller Generationen wird vor unseren Augen verwirklicht«, sagte er damals.

 

»Die Stadt Gottes, der Ort des Tempels, der Tempelberg und die Westmauer, das Symbol der Erlösung der Nation, wurden heute von euch, den Helden der israelischen Verteidigungsarmee, erlöst.« Und er wiederholte den bekannten Psalmenspruch: »Sollt’ ich dich vergessen, Jerusalem, so versage meine Rechte!«, um dann auszurufen: »Wirklich, wir haben dich nicht vergessen, Jerusalem, unsere Heilige Stadt, unsere Herrlichkeit!«

 

Das erste Mal nach 2000 Jahren war die heiligste Stätte des Judentums wieder unter jüdischer Kontrolle. Jahrzehntelang war uns der Weg zur Kotel verwehrt, nachdem die jordanische Armee im Unabhängigkeitskrieg 1948 die Altstadt und den Tempelberg erobert hatte. Auch zuvor – unter britischer Verwaltung – musste hier still gebetet werden, Toralesungen waren nur in den nahen Synagogen erlaubt. Restriktionen und Verbote, wie bereits unter den Osmanen, Mamelucken, Griechen, Römern und anderen. Erst zum Schawuotfest im Juni 1967 wurde diese Stätte offiziell und ohne Auflagen auch wieder für das jüdische Gebet freigegeben.

 

 

TENACH

 

Doch auch ohne die physische Verbindung zu diesem Ort richten Juden seit Hunderten von Jahren ihr Gebet nach Jerusalem. Und die Stadt ist Hunderte Male im Tenach, der jüdischen Bibel, erwähnt. Unter anderem ist von »Jire« (ersehen) die Rede, und von »Shalem«, dem Perfekten, dem Frieden. Jire und Shalem: Jeruschalajim.

 

In den fünf Büchern Mose wird übrigens 19-mal auf den »Ort, den der Ewige, euer G’tt, erwählen wird«, Bezug genommen. Und schließlich verkünden die Propheten König David, dass der Ort Jerusalem ist. Seit seinen Tagen ist Jerusalem die Hauptstadt des jüdischen Volkes. Er hat etwa 1000 Jahre vor der modernen Zeitrechnung Jerusalem erobert und zum Sitz des Königreichs gemacht – und schließlich die Bundeslade an ihren vorbestimmten Platz gebracht.

 

Hier baute sein Sohn Schlomo dann den Beit Hamikdasch, den Heiligen Tempel. »Ich freue mich mit denen, die zu mir sprechen: Ins Haus des Ewigen lasst uns gehen«, heißt es in Davids Psalmen. Die Tora schreibt uns vor, an Pessach, Schawuot und Sukkot nach Jerusalem zu kommen: »Dreimal im Jahr sollen erscheinen all deine Männlichen vor dem Angesicht des Ewigen, deines G’ttes, an dem Ort, den Er erwählen wird, am Fest der ungesäuerten Brote, am Fest der Wochen und am Fest der Hütten.«

 

 

ZION

 

Dieses Fest der Wochen, Schawuot, feiern wir nun in diesen Tagen. Und auch wenn wir nicht selbst in Jerusalem sein können, so können wir uns doch der schon erwähnten Verbindung zwischen Tora und Jerusalem bewusst werden. »Denn von Zion geht die Tora aus und das Wort des Ewigen von Jerusalem.« Diese Worte singen wir, wenn wir die Tora ausheben und durch die Synagoge zur Lesung tragen. Das tun wir seit Generationen. Und seit jeher skizziert unter anderem dieser Satz auch die besondere Beziehung, die wir Juden mit Zion haben – und die Tora mit Jerusalem.

 

Har Sinai und Moriah: zwei Berge, nicht hoch, doch sehr heilig – und zentral für unseren Glauben, unsere Geschichte und Identität. Der Midrasch sieht beide auch in direkter Verbindung: Der Har Sinai soll danach ein Stück aus dem Har Moriah sein, so wie sich ein Priester einen Teil aus dem Teig des Opfers nimmt.

 

 

TEMPEL

 

Und ein anderer Midrasch erzählt davon, dass der Berg Moriah sich von seiner angestammten Stelle in den Sinai bewegte, damit die Tora den Kindern Israels auf heiligem Grund und Boden gegeben werden konnte. Unsere Weisen berichten auch, dass das Ewige Feuer, das im Heiligen Tempel in Jerusalem brannte, von dem Feuer stammt, das während Matan Tora, der Offenbarung, am Sinai loderte.

 

Und noch etwas unterscheidet und verbindet die beiden zugleich: Am Berg Sinai kam die Offenbarung von G’tt zu den Menschen, sozusagen aus der Höhe zu uns nach unten auf die Erde. Der Berg Moriah steht sinnbildlich für den umgekehrten Weg, für unsere Gebete und Taten, mit denen wir uns nach oben zum Ewigen wenden. Wir sollten uns das in Erinnerung rufen, wenn wir Jom Jeruschalajim und Schawuot feiern.

 

 

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und Beiratsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).

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