Habe Wohlgefallen

Auf den ersten Blick sieht die Bracha "Habe Wohlgefallen" gar nicht wie eine Lobpreisung aus, sondern doch eher wie eine Bitte.

3 Min.

Rabbiner Uri Scherki

gepostet auf 15.03.21

Der Segensspruch (Bracha) "Habe Wohlgefallen" bzw. "vom Tempeldienst" ist der erste einer Gruppe von drei Brachot, die das Schmone-Esre Gebet abschließen, Brachot der Preisung nach den Bittgebeten. Es ist bloß recht und billig, wenn ein Mensch etwas von einem anderen erbittet – in diesem Fall von G~tt höchstpersönlich – daß er sich dafür bedankt, was jener bereits erfüllt hat. Wenn wir uns nur mit Bitten an G~tt wenden, entstünde womöglich der Eindruck, alles auf seiner Welt sei mangelhaft. Diesen Eindruck beseitigen wir am Ende des Gebetes, indem wir verkünden, daß es beständige Dinge in dieser Welt gibt, die keinen Änderungen unterliegen, und dafür danken wir G~tt aus vollem Herzen.

 

Auf den ersten Blick sieht die Bracha "Habe Wohlgefallen" gar nicht wie eine Lobpreisung aus, sondern doch eher wie eine Bitte: "Habe Wohlgefallen, Ewiger, unser G~tt, an deinem Volke Israel und ihrem Gebete, und bringe den Dienst wieder in das Heiligtum deines Hauses" – alles im Stil einer Bitte. Wir bitten ganz einfach um die Wiederherstellung des Tempeldienstes. Wenn es aber wirklich eine Bitte wäre, hätte sie noch vor der Bracha "Höre unsere Stimme" ihren Platz gehabt, mit der die Bittgebete endigen.

 

Darum geht es in dieser Bracha sicher um etwas Beständiges, nämlich den Dienst im Tempel vor dem Hintergrund der metaphysischen Wahrheit, der kosmischen Wahrheit und niemals aufgehört hat, wie unsere Weisen in der Mischna "Sprüche der Väter" sagten: "Auf drei Dingen steht die Welt: auf der Tora, auf dem Opferdienst und auf der Wohltätigkeit" (1.Kap.). Wenn man eines dieser drei Dinge fortnimmt, kann die Welt nicht mehr bestehen. Darum müssen wir zwangsläufig annehmen, die talmudischen Weisen wollten damit ausdrücken, daß der Opferdienst auch dann nicht aufhörte, als er offensichtlich nicht mehr möglich war. Dies erklärt der Midrasch, den wir dem Tossafotkommentar (Menachot 110a) entnehmen: Seit der Tempelzerstörung dient der Erzengel Michael als Hohepriester im Tempel der himmlischen Sphären. Er bringt jeden Tag auf dem dortigen Altar die Seelen der Gerechten dar. Das haben wir im Sinn, wenn wir die Worte "und die Feueropfer Israels und ihr Gebet nimm in Liebe auf mit Wohlgefallen" sagen – wer sind jene "Feueropfer Israels", um deren Annahme wir G~tt bitten? Das sind die Seelen der Gerechten, die jeden Tag vor G~tt dargebracht werden.

 

Diese Danksagung erfreut uns natürlich nicht besonders. Wir würden viel lieber als die tägliche Darbringung der Seelen der Gerechten auf dem himmlischen Altar die praktische Fortsetzung des irdischen Tempeldienstes sehen, mit Tieropfern von Rind und Kleinvieh. Darum fügen wir dieser Danksagung hinzu: "und bringe den Dienst wieder in das Heiligtum deines Hauses". Nicht "richte ein" oder "richte auf", sondern "bringe wieder" den Dienst, den existierenden Dienst, der momentan auf der metaphysischen, himmlischen Ebene stattfindet, nur daß wir darum bitten, diese verborgene Sache offen vor unsere Augen zu bringen.

 

Aus diesem Grunde fügen wir auch hinzu: "Und unsere Augen mögen schauen, wenn du nach Zion zurückkehrst in Erbarmen", denn G~tt wirkt Wunder und Rettung an jedem einzelnen Tage, besonders im Verlaufe der jüdischen Geschichte, ob wir sie sehen oder nicht. Vielmehr beten wir darum, in der Stunde, wenn G~tt nach Zion zurückkehrt, zu denen zu gehören, die wissen, diese Rückkehr zu sehen, und nicht zu jenen, von denen es leider sehr viele gibt, denen es nicht gelingt, die Hand G~ttes im Verlauf unserer Geschichte zu erkennen.

 

Es kann sein, daß an diesem Punkt die Ansichten der späteren talmudischen Weisen (Amoräer) auseinandergehen, wie es im Traktat Sanhedrin (98b) heißt: Auf der einen Seite Ula und Raba, die nicht daran interessiert sind, das messianische Zeitalter zu erleben, weil sie den schweren Prüfungen jenes Zeitalters nicht standhalten würden, und auf der anderen Seite Rav Josef, der sagte: Möge er [der Maschiach] doch kommen, und mir sei es beschieden, im Schatten des Mistes seines Esels zu sitzen.

 

Wir beten darum, zu den Schülern von Rav Josef zu gehören, der das Kommen des Maschiach erwartet, auch wenn man dafür im Schatten des Mistes seines Esels sitzen muß. Möge er nur schon kommen! Und wir werden dann von denen sein, deren Augen schauen, wenn der Heilige, gelobt sei er, seine Präsenz nach Zion in Erbarmen zurückbringt.

 

 

Dieser Artikel erschien auf der Seite Kimizion.org. Aus dem Hebräischen übersetzt von Rafael Plaut.

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