Der Menschenrechtler

Mosche schlägt sich immer auf die Seite der Schwachen. Das qualifiziert ihn zum Anführer.

3 Min.

Rabbiner Yaacov Zinvirt

gepostet auf 15.03.21

Mosche schlägt sich immer auf die Seite der Schwachen. Das qualifiziert ihn zum Anführer.

 

Mosche ist eine der wenigen Personen in der Tora, deren Geburt und frühe Kindheit ausführlich geschildert werden. Wir erfahren en détail, wie ihn die Tochter des Pharaos in einem Körbchen im Schilf fand und adoptierte.

 

Von der Zeit danach bis zum Zusammentreffen mit seinen versklavten Brüdern, den Hebräern, erzählt die Tora jedoch nichts. Man kann davon ausgehen, dass Mosche wusste, wie die Hebräer unterdrückt wurden. Die Tora beginnt erst wieder von ihm zu berichten, als er zu seinen Brüdern hinausgeht und sich darüber Gedanken macht, wie sein Volk behandelt wird und wohin das noch führen soll.

 

Dieser Moment war der Beginn seiner Führerschaft. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass er zum ersten Mal Mitleid mit den Hebräern hatte und sich zum Handeln verpflichtet fühlte. Auch nach diesem Ereignis berichtet die Tora nichts Besonderes über Mosche.

 

 

FLUCHT

 

Was uns vorliegt, sind die drei folgenden Begebenheiten: »Zu jener Zeit, als Mosche herangewachsen war, ging er zu seinen Brüdern hinaus und sah sie bei ihren Lastarbeiten. Da sah er, wie ein Ägypter einen von seinen Brüdern, einen Hebräer, schlug. Er wandte sich nach allen Seiten und sah, dass niemand zugegen war. Da erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sand. Am anderen Tag ging er wieder hinaus, und siehe, da stritten zwei Hebräer miteinander. Da sprach er zu dem, der Unrecht hatte: ›Warum schlägst du deinen Nächsten?‹ Der aber sagte: ›Wer hat dich zum Oberhaupt und Richter über uns gesetzt? Denkst du etwa, mich umzubringen, wie du den Ägypter umgebracht hast?‹ Da überkam Mosche Furcht, und er sprach: ›So ist die Sache doch bekannt geworden!‹ Auch Pharao erfuhr es und trachtete danach, Mosche zu töten. Da floh Mosche in das Land Midian und ließ sich dort nieder und wohnte bei einem Brunnen. Und der Priester von Midian hatte sieben Töchter. Diese kamen, schöpften Wasser und füllten die Rinnen, um die Schafe ihres Vaters zu tränken. Aber die Hirten kamen herbei und trieben sie hinweg. Da erhob sich Mosche und stand ihnen bei und tränkte ihre Schafe« (2. Buch Mose 2, 11–17).

 

In allen drei Geschichten schlägt sich Mosche auf die Seite des Schwächeren. In der ersten Geschichte will Mosche dem Hebräer das Leben retten. In der zweiten versucht er, einen Streit zwischen zwei Hebräern zu schlichten, obwohl er in Kauf nehmen muss, möglicherweise selbst entdeckt und verraten zu werden. Die dritte Geschichte erzählt bereits von der Zeit nach seiner Flucht. Schon am ersten Tag im fremden Land wird er wieder mit Ungerechtigkeit konfrontiert, und erneut stellt er sich auf die Seite der Schwächeren. In diesem Fall auf die Seite der Frauen.

 

 

GEFAHREN

 

Er denkt nicht an die Gefahren, die dadurch entstehen könnten, er denkt nicht an seinen eigenen Nutzen, sondern er kämpft für Gerechtigkeit. Mosche hatte die Qualität eines Anführers. G’tt sah dies und wählte ihn als denjenigen aus, der das Volk aus der Unterdrückung herausholen und den Kampf um Gerechtigkeit führen sollte.

 

»Mosche aber hütete die Schafe seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Er führte die Schafe über die Wüste hinaus und kam bis an den Berg G’ttes, den Horeb. Da erschien ihm ein Engel des Ewigen in einer Feuerflamme aus dem Dornbusch« (2. Buch Mose 3, 1–2).

 

Raschi (1040–1105) erklärt den Vers 1 in Bezug auf die Fütterung der Schafe so, dass Mosche die Schafe so weit weg zum Weiden führte, dass sie nicht auf privaten Flächen von anderen grasten. Das heißt, Mosches Gerechtigkeitssinn war derart stark ausgeprägt, dass er selbst bei der Versorgung der Schafherde darauf bedacht war, niemandem zu schaden, sogar in unbeobachteten Situationen. Genau nach diesem Ereignis offenbarte sich G’tt.

 

Der ideale Anführer ist ein Mensch, der einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn besitzt. Nur er wird den Anforderungen gerecht werden. Zuerst jedoch ist jeder der Führer seiner selbst, seines eigenen Lebensweges. Üben wir Gerechtigkeit im Kleinen und tragen sie dann nach außen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.

 

 

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Duisburg – Mülheim – Oberhausen und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.

Sagen Sie uns Ihre Meinung!

Danke fuer Ihre Antwort!

Ihr Kommentar wird nach der Genehmigung veroeffentlicht.

Fuegen Sie einen Kommentar hinzu.