Ruth

„Dränge mich nicht, dich zu verlassen; wo du hingehst, will auch ich hingehen; wo du wohnst, will auch ich wohnen; wo du stirbst will auch ich sterben ...

3 Min.

Rabbiner Frand

gepostet auf 06.04.21

Der Artikel erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Jüfo Zentrums in Zürich.

Aus dem Buch Ruth können viele Gesetze über den Übertritt zum Judentum abgeleitet werden. Ruth sagte Naomi: „Dränge mich nicht, dich zu verlassen, mich von dir abzukehren; sondern wo du hingehst, will auch ich hingehen; wo du wohnst, will auch ich wohnen; dein Volk ist mein Volk und dein G’tt ist mein G’tt; wo du stirbst will auch ich sterben und dort will ich begraben werden.“ [Ruth 1:16]

Raschi erwähnt folgende Lehre unserer Weisen: In diesem Moment erkannte Naomi, dass Ruth es vollkommen ehrlich meinte und begann, sie in die Gesetze des Judentums einzuführen. Unsere Weisen lehren, dass jeder Ausdruck des vorher erwähnten Pasuks eine Andeutung auf eine bestimmte Gruppe von halachischen (religionsgesetzlichen) Prinzipien darstellt. „Wo du hingehst, will auch ich hingehen“ weist auf das Gesetz von Techum Schabbat (die maximale Strecke, die man am Schabbat über die Stadtgrenze hinaus zurücklegen darf) hin. „Wo du wohnst, will auch ich wohnen“ deutet auf das Verbot von Jichud (dem Verbot, sich mit nicht zulässigen Personen des anderen Geschlechts in Privaträumen aufzuhalten). „Wo du stirbst, will auch ich sterben“ bezieht sich auf verschiedenartige Todesstrafen, die ein Jüdischer Gerichtshof aussprechen kann.

Der Midrasch deutet diesen Dialog noch ein bisschen anders. Auch der Midrasch meint, dass wir diesem Pasuk entnehmen können, dass Naomi Ruth die besonderen Gesetze des Judentums lehrte. Gemäss dem Midrasch lehrte Naomi ihre Schwiegertochter folgendes: „Jüdische Frauen gehen nicht in nichtjüdische Theater- und Zirkusvorstellungen.“ Darauf antwortete Ruth: „Wo du hingehst, will auch ich hingehen.“

Dieser Midrasch ist ziemlich merkwürdig. Man kann sehr schwer verstehen, dass Naomi einer Kandidatin für den Übertritt zum Judentum als Erstes einprägte, dass Juden nicht in Theater- und Zirkusvorstellungen gehen. Sogar wenn wir annehmen können, dass die Theater, über die der Midrasch spricht, nicht genau das gleiche sind wie der Zirkus Knie, ist dies trotzdem ein merkwürdiger Lehrstoff für das Einmaleins des Judentums.

Wieso ist die Abwendung vom Theater- und Zirkusbesuch derart grundlegend, dass der Midrasch dies als Illustration von Naomis Einführungsstunde ihrer Schwiegertochter in die Grundlagen ihrer neuen Religion verwendet?

Der Nachlat Josef, ein wunderbares Werk über Megillat Ruth, bringt eine Erklärung, welche sich auf eine Gemara im Talmud-Traktat Avoda Sara [18b] stützt. Der Talmud nennt dort die Theater- und Zirkusvorstellungen „Moschav Lejzim“ (Orte, wo Spötter sich aufhalten). Damit stellt sich die Frage, ob Spotten und Foppen wirklich das Gegenstück zum Wesen des Judentums verkörpern? Die Antwort ist ein tief empfundenes Ja.

Der Einleitungsvers des Buches Tehillim (Psalmen) lautet: „Heil dem Manne, der nicht wandelt im Rat der Frevler, und auf dem Wege der Sünder nicht steht und nicht sitzt im Kreise der Spötter.“ Der folgende Pasuk fährt weiter: „Hingegen ist die Torah von Haschem sein Verlangen und über Seine Lehre sinnt er Tag und Nacht.“ Daraus erkennen wir, dass das Sitzen in einem Moschav Lejzim (Kreis der Spötter) genau das Gegenteil zum Verlangen nach der Torah von Haschem darstellt.

Unter einem Moschav Lejzim versteht man nicht eine Komödienbühne. Es ist nicht ein Theater, wo Menschen Witze reißen. Ein Moschav Lejzim verkörpert einen Mangel an Gefühl für den Ernst des Lebens. Es ist die Lebensart, deren Hauptsache das Motto ist, möglichst viel „Spaß zu haben“. Das ist es, was Theater und Zirkusvorstellungen verkörpern und das ist es, vor dem Naomi Ruth warnt.

„Ruth, falls du eine Jüdin werden willst, so ist das Erste, das du über das Judentum wissen musst, dass das Leben eine ernste Sache ist. Es gibt ein Ziel und einen Zweck und eine Aufgabe im Leben. Das Leben ist kein Witz. Leben heißt nicht, Spaß zu haben. Es ist ein hartes Geschäft.“

Alles hat seinen Ursprung in diesem Gedanken. Der Unterschied ist markant: Die „Gesellschaft der Spötter“ gegenüber „die Torah von Haschem ist sein Verlangen“. Es ist ein „entweder – oder“. Du kannst nicht beides haben. Das ist das A und O des Judentums.

„Bevor wir über alles andere reden – Schabbat, Jichud, Sanhedrin (Gerichtshof) – musst du eine Sache anerkennen: Das Leben hat einen Sinn. Du bist hier, weil du eine Aufgabe erfüllen musst. Wenn du, Ruth, bereit bist, dies zu bejahen, dann können wir über das Judentum reden.“

Quellen und Persönlichkeiten:
 

 
Raschi (1040 – 1105) [Rabbi Schlomo ben Jizchak]: Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); "Vater aller Torahkommentare".
 
Raschbaz (1361 – 1444) [Rabbi Schimon ben Zemach Duran]: Poet, Arzt und Talmudgelehrter; Autor des Werkes „Javin Schmua“; Majorca (Spanien), Algier (Algerien).
 
Rav Josef Ze’ev Lipovitz (1889 – 1962): Rabbiner und Ethik-Lehrer, Autor des Werkes „Nachlat Josef“ zu Megilat Ruth; Slobodka (Polen), Israel.

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