Weingenuss am Purim-Fest

Diese Geschichte ist so erstaunlich, dass sie offensichtlich einer Interpretation bedarf ...

2 Min.

Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 16.03.21

Von einer unerhörten Begebenheit berichtet der Talmud (Megilla 7b): „Rabba und R. Zera hielten zusammen das Purim-Festmahl ab, und als sie bezecht waren, stand Rabba auf und schlachtete Rabbi Zera. Am folgenden Tag flehte er um Erbarmen und belebte ihn. Im nächsten Jahre sprach er zu ihm: Möge der Meister kommen, wir wollen zusammen das Purim-Festmahl abhalten. Dieser erwiderte: Nicht jederzeit geschieht ein Wunder.“

 

Diese Geschichte ist so erstaunlich, dass sie offensichtlich einer Interpretation bedarf. Wohl verstehen wir, dass die zwei genannten Amoräer die Purim-Mahlzeit zusammen eingenommen haben und dabei auch reichlich Wein tranken. Denn unmittelbar vor der oben zitierten Talmud-Passage heißt es: „Raba sagte: Am Purim-Fest muss man so viel zechen, bis man zwischen ´Verflucht sei Hamann`und ´Gepriesen sei Mordechai` nicht mehr zu unterscheiden vermag.“

 

Rabbi Schlomo Ganzfried erklärt in seinem Kodex „Kizzur Schulchan Aruch“ (142,6) diese Vorschrift wie folgt: „Weil das ganze Wunder sich beim Wein vollzog – Waschti wurde beim Weingelage verstoßen, sodass Esther an ihre Stelle kam, ebenso trug sich die Sache Hamanns und sein Sturz beim Wein zu – ,darum haben unsere Weisen seligen Angedenkens zur Pflicht gemacht, sich mit Wein zu berauschen.“

 

Aber der kritische Leser fragt sich sofort: Hat Rabba wirklich seinen Kollegen R. Zera umgebracht und am nächsten Tag dessen Wiederbelebung durch ein Gebet bewirkt? In der Beantwortung dieser Frage sind die Interpreten unterschiedliche Wege gegangen. Mein gelehrter Vetter Aaron Ahrend hat in einer hebräischen Abhandlung in der wissenschaftlichen Zeitschrift „B.D.D. Bekohl Derakhekha Daehu“ (Band 8, 5759) eine Anzahl verschiedener Deutungen nebeneinander gestellt und diese klassifiziert. Er teilt die Interpreten in zwei Gruppen ein; in solche, die das Erzählte wörtlich nehmen, und in solche, die die Geschichte allegorisch auslegen.

 

Die einen sagen: Rabba hat Raw Zera ohne Mordabsicht getötet, als er unter Wirkung des Alkohols stand. Durch sein Gebet hat Rabba am folgenden Tag für das Wunder der Wiederbelebung des Toten gesorgt. Vertreter dieser Auffassung haben sogar ernsthaft die halachische Frage diskutiert, ob R. Zera nach der Auferstehung seine Frau erneut heiraten musste. Denn mit seinem Tod war die Ehe eigentlich beendet: Konnte das eingetretene Wunder die Auflösung der Ehe aufheben?

 

Die andere Gruppe von Gelehrten, zu der u.a. R. Abraham, der Sohn von Maimonides, und R. Schmuel Eliezer Edels (der Marscha) zählen, erklärt, die ganze Geschichte sei nicht wörtlich zu nehmen. Rabba  habe seinen Kollegen nicht wirklich getötet; er habe R. Zera entweder schwer verletzt oder durch einen forcierten Weingenuss krank werden lassen. Dementsprechend bestand das eingetretene Wunder nicht in einer Auferstehung von den Toten, sondern in einer natürlichen Genesung.

 

Nach Auffassung der meisten Interpreten lautet die Moral der merkwürdigen Geschichte: Sogar große Gelehrte können durch übermäßigen Weingenuss aus der normalen Bahn geraten und dann einen großen Schaden anrichten! Daher heißt es im „Kizzur Schulchan Aruch“ (142,6): „Wer aber von schwacher Natur ist und ebenso derjenige, der von sich weiß, dass er dadurch, was der Ewige behüte, irgendein Gebot oder ein Gebet geringschätzen oder zu Leichtfertigkeit kommen wird, für den ist es besser, sich nicht zu berauschen. Alle Handlungen des Menschen seien dem Ewigen zu Ehren!“

 

 

Der Autor ist Psychologe und hat an der Universität Köln gelehrt.

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