»Wer eine Tüchtige findet«

Warum es wichtig ist, unsere Frauen zu ehren und ihnen jede Woche für ihre Arbeit zu danken ...

4 Min.

Rabbiner Jan Guggenheim

gepostet auf 14.03.21

Warum es wichtig ist, unsere Frauen zu ehren und ihnen jede Woche für ihre Arbeit zu danken

 

Die ersten beiden Bücher der Tora, Bereschit und Schemot, beinhalten die Grundlagen der jüdischen Religion. Das Heilige Land wird unseren Vorvätern versprochen, und das jüdische Volk wird zu »Am Haschem«, dem Volk G’ttes. Das Buch Bereschit behandelt in ausführlicher Weise verschiedene Fragen der Ethik, des Mussar. Die Tora ist jedoch weder ein Geschichts- noch ein Rechtsbuch, sie ist noch viel mehr. Jedes Wort in der Tora lehrt etwas, jede Zeile hat eine wichtige Botschaft, jeder Buchstabe beinhaltet Welten von Erklärungen.

 

Das Buch Bereschit benennt zwar insgesamt nur drei Mizwot – das Gebot, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren; das Gebot der Brit Mila und das Verbot, den Ischiasnerv zu essen. Stattdessen kommt den Fragen des Mussar, also den Verhaltensregeln, von Anfang bis zum Ende des Buches eine große Bedeutung zu.

 

Unser Wochenabschnitt Chaje Sara beinhaltet zwei Themen, die ausgeführt werden, sowie einige sekundäre Themen, die weniger ausgeführt sind: Sara stirbt im Alter von 127 Jahren, Awraham kauft eine Grabstätte in der Höhle Machpela, er beauftragt seinen Knecht, eine Frau für seinen Sohn Jizchak zu suchen. Und dann gibt es die Schidduch-Geschichte vom Knecht in Charan, der die Frau am Brunnen aussucht, die seinen Kamelen zu trinken gibt. Jizchak heiratet Riwka, und zum Schluss werden Awrahams Söhne und Jischmaels Nachkommen aufgezählt.

 

 

LIED

 

Am Anfang der Parascha erzählt die Tora von Saras Tod und Beerdigung: »Und Sara starb … und Awraham kam, um eine Trauerrede zu halten und sie zu beweinen.« Awraham muss mit dem Hethiter Efron handeln und erwirbt mit sehr viel Mühe und Geld eine Grabstätte für Sara. Der Midrasch Tanchuma (Abschnitt Chaje Sara 4) sagt, dass Awraham das »Eschet Chajil«, das »Lied der tüchtigen Frau« (Mischle 31,10), aufgesagt hat.

 

Dieses Lied singen jüdische Männer üblicherweise für ihre Ehefrauen vor dem Kiddusch am Schabbatabend. Jeder Vers im Eschet Chajil wird im Midrasch mit Sara verbunden. Im Sefer Netiwot Schalom werden mehrere Verse aus diesem Lied aufgezählt und Fragen dazu gestellt. In einem Vers heißt es: »Sie (Sara) besinnt sich nach einem Feld und erwirbt es.« Sara hat dieses Feld jedoch nicht gekauft. Gekauft hat es Awraham – nach ihrem Tod. Es stellt sich die Frage, wieso laut dem Midrasch König Schlomo Sara für den Erwerb des Feldes lobt, obwohl sie es doch gar nicht gekauft hat, sondern Awraham es nach ihrem Tod getan hat.

 

Ein weiterer Vers, der besprochen wird, ist folgender: »Sie hat keine Angst um ihr Haus, wenn Schnee fällt, weil ihr Haus mit Purpurwolle gekleidet ist.« Der Midrasch erklärt dazu, »kein Schnee« sei gleichbedeutend mit »kein Gehinnom«, keine Bestrafung nach dem Tod. Ihr Haus ist mit »Schanim« gekleidet. Das kann man auf Hebräisch auch Schnajim lesen, die Zahl 2. Ihr Haus ist also mit zwei Sachen gekleidet, mit dem Schabbat und der Brit Mila. Wenn es diese beiden Dinge in einem Haus gibt, wird man vor der Hölle gerettet.

 

 

FRAGEN

 

Das Buch Netiwot Schalom stellt auch hinsichtlich dieses Verses die Frage, was er mit Sara und einer Eschet Chajil zu tun hat? »Sie machte Gewände und verkauft sie«, sagt der Midrasch – und bezieht sich auf die Beschneidung. Aber was hat dies mit »Eschet Chajil« und wiederum mit Sara zu tun?

 

Vor nicht allzu langer Zeit, an Jom Kippur, haben wir Folgendes gelesen: »Und er sühnte für sich und für sein Haus« (3. Buch Mose 16,6). Die Weisen sagen, »sein Haus« sei »seine Frau«. Wie kamen sie zu dieser Schlussfolgerung? Netiwot Schalom antwortet, dass der ganze Segen, der ganze Einfluss auf das Heim von der Frau kommt. Dies trifft sowohl auf die physischen, die materiellen Dinge, als auch auf die Spiritualität in einem Haus zu. Deswegen werden die Verse im Mischle der Sara, der »Eschet Chajil« zugesprochen – so wie die Verse, die von Schabbatot und der Heiligkeit im Haus sprechen. Ebenso werden das Feld und die Grabstätte Sara angerechnet, und zwar auch noch nach ihrem Tod. Ihr Einfluss als »Eschet Chajil« hört nicht auf, sondern er besteht weiterhin fort.

 

Im Traktat Brachot 18a des Talmud sagen unsere Weisen: »Gerechte mit ihrem Tod werden ›lebend‹ genannt.« Die spirituelle Kraft, die sie zu Lebzeiten ausstrahlen, ist unsterblich. »G’tt sagt zu Awraham: Sarai, deine Frau, soll nicht mehr Sarai heißen, sondern Sara.« Und: »Sara, deine Frau, wird ein Kind gebären.« Noch in unserer Parascha, lange nach der Beerdigung von Sara, steht: »Und Awraham nahm sich noch eine Frau, und sie heißt Ketura.« »Noch eine Frau« bedeutet also: zusätzlich zu einer anderen Frau.

 

 

SARA

 

Zu welcher anderen Frau jedoch? Awraham hatte sich zu dem Zeitpunkt schon von Hagar scheiden lassen, und Sara ist bereits am Anfang der Parascha beerdigt worden. Auf den ersten Blick scheint das Wort »deine Frau« überflüssig zu sein, denn welche Sara kann hier noch gemeint sein? Das »überflüssige« Wort deutet darauf hin, dass Sara nicht nur jetzt seine Frau ist, sondern dass sie auch nach ihrem Tod seine Frau bleiben wird. Daher heißt es »noch eine Frau«, zusätzlich zu Sara.

 

Das Judentum hat und hatte den Frauen sehr viel zu verdanken. Die Weisen sagen, dass unsere Vorväter durch gerechte Frauen in jener Generation aus Ägypten ausgezogen sind. Im Traktat Jewamot (62,b) zählen die Weisen auf, was auf einen Mann zukommt, der ohne Frau lebt: »Rabbi Tanchum, Sohn von Rabbi Chanila, sagt: Jeder Mann, der ohne Frau lebt, lebt ohne Freude, ohne Segen, ohne Gutes.«

 

 

SCHUTZMAUER

 

Im Traktat Jewamot steht weiter, dass man in Eretz Israel zu sagen pflegte, ein unverheirateter Mann sei wie ein Mann ohne Tora und ohne Schutzmauer. Ohne die Frau hätte er niemals die Zeit, Tora zu lernen. Rabba, Sohn von Ulla, sagte, ein Mann brauche eine Frau, um Frieden zu haben. Denn die Frau bringt Frieden in das Haus. Es gibt also keinen besseren Zeitpunkt, das »Eschet Chajil« zu sagen, als am Schabbatabend. Der Schabbat ist ein Ruhetag, man ruht sich aus nach einer schweren Woche, einer Woche voller Arbeit. Jeden Schabbat kann man auch zurückblicken auf die vergangene Woche und der Frau für all das danken, was sie in dieser Zeit geleistet hat. Dieser Gedanke ist auch heute noch so aktuell wie zu Zeiten von Awraham und Sara.

 

Warum noch passt das Eschet Chajil so gut zum Schabbateingang? Wir bezeichnen den heiligen Schabbat auch als die Braut. So heißt es in dem Begrüßungslied zum Schabbateingang: »Lecha dodi likrat kalla« (»Komm, mein Freund, der Braut entgegen«). In der zweiten Strophe von Lecha dodi lesen wir jede Woche: »Lasst uns dem Schabbat entgegengehen, denn er ist die Quelle des Segens.«

 

So wie der Schabbat der Segen für die ganze Woche ist, genauso müssen wir unsere Frauen ehren, denn durch sie kommt Segen, sowohl spiritueller als auch materieller Art, in unsere Häuser und Familien hinein.

 

 

Der Autor hat am Rabbinerseminar zu Berlin studiert und ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.

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