Brüdertrennung

Unser Stammvater Awraham war für seine Eigenschaft bekannt, Menschen die nicht an Gott glaubten, näher zu bringen.

4 Min.

Rabbiner Asri´el Ari´el

gepostet auf 06.04.21

Unser Stammvater Awraham war für seine Eigenschaft bekannt, Menschen die nicht an Gott glaubten, näher zu bringen. So wie es heißt:

 „Awraham konvertiert die Männer, und Sara konvertiert die Frauen“.

Aufgrund dessen heißt es bei jeden Ort, wo sie hinkamen:

„…wo Awram angerufen hatte den Namen des Ewigen“ (Gen. 13,4)
 
An einem einzigen Ort allerdings strebt er nach Trennung, und Entfernung der Nahen:
 
„Da sprach Awram zu Lot… Trenne dich doch von mir!“ (13,8-9).
 
Darüber hinaus reicht es ihm nicht, Lot die Trennung anzubieten, er teilt ihm unverwunden mit, dass er sich in die entgegengesetzte Richtung absetzen werde. „Wenn zur Linken, so will ich mich rechts halten, wenn zur Rechten, so will ich mich links halten“ (Ebda). Wir sehen und staunen: Ist denn das der richtige Weg? Familientrennung wegen eines Hirtenstreites?
 
Entsprechend gibt es eine Meinungsverschiedenheit bei den talmudischen Weisen zu dieser Trennung, manche erklären sie zum Lobe, manche als Fehler: 

„Rabbi Juda sagt: Einen Zorn hegte unser Vorvater Awraham zur Stunde, als sich sein Neffe Lot von ihm trennte. Sagte der Heilige, gelobt sei er, Allen hängt er an, und seinem Bruder Lot hängt er nicht an?! Rabbi Nechemja sagte: Einen Zorn hegte der Heilige, gelobt sei er, als Lot mit unserem Vorvater Awraham ging. Sagte der Heilige, gelobt sei er: Ich sagte ihm: Deinen Nachkommen gab ich dieses Land – und er hängt seinem Neffen Lot an, auf dass dieser ihn beerbe?!“ (Bereschit raba 41,8).

 
Wir werden uns nicht zwischen diesen Größen einmischen, sondern nur versuchen, den tieferen Sinn von Awrahams Entscheidung zu verstehen. Die Beziehung von Awraham und Lot war von Höhen und Tiefen gekennzeichnet, die in den Versen angedeutet sind. Am Anfang des Weges war es Lot, der sich Awraham anschließen wollte.
 
"Und Awram ging, wie der Ewige zu ihm geredet hatte, und Lot ging mit ihm" (Gen. 12,4).
 
Bei der nächsten Stufe zog Awram Lot zu sich:
 
"Und Awram nahm seine Frau Sarai und Lot, seines Bruders Sohn" (12,5), und nicht nur das, vielmehr hielten sie ihren Besitz auf gemeinschaftliche Weise: "…und all ihr Eigentum, das sie sich angeeignet" (ebda.).
 
Im Laufe der Zeit wuchs die Solidarität Lots mit seinem Onkel. Bei der Rückkehr aus Ägypten heißt es:
 
Und Awram zog hinauf von Ägypten, er und seine Frau und alles was ihm zugehörte, und Lot mit ihm gen Süden“ (13,1).
 
Das "mit ihm" (imo) ist eigentlich überflüssig und soll uns lehren, dass dieser Auszug anders war als jener aus Charan, wo geschrieben steht: „und Lot ging mit ihm (ito)“ (12,4), doch jetzt verband sich Awraham stärker mit Lot (Neziw).
 
Die Fülle, die ihnen zufiel, führte dann allerdings zur stufenweisen Entfernung voneinander. Der Besitz ist nicht mehr gemeinschaftlich wie zu Anfang, und die Solidarität Lots, die im Begriff "mit ihm" (imo) zum Ausdruck kam, wird schwächer, wie es das Wort "et" (wie ito) ausdrückt. „Und auch dem Lot, der mit (et) Awram ging, wurden Schafe und Rinder und Zelte“ (13,5).
 
Die Entfernung Lots, nachdem er sich schon angenähert hatte, beunruhigte Awraham. "Schlimmer ist als jene, wer [die Tora] studiert und sich von ihr zurückgezogen hat" (Pessachim 49b). Er versteht, dass im Hintergrund dieser Distanzierung kein kleinlicher Streit über Weidegründe steht, und auch keine halachische Meinungsverschiedenheit über die Frage der Beraubung von Nichtjuden, sondern ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen ihnen beiden, dessen Überbrückung absolut zweifelhaft erscheint. Awraham beschließt aber nicht sofort, zu Lot auf Distanz zu gehen. Er stellt ihn auf die Probe, indem er ihm die freundschaftliche Trennung anbietet. Nur die begeisterte Zustimmung Lots beweist, was der MahaRaL (der "hohe Rabbi Löw" aus Prag) schrieb: "Und es wurde Zank… und es trennte sich jeder von seinem Bruder (13,7/11) – deutet auf einen wesentlichen Unterschied, wie es im Midrasch heißt: Trenne dich doch von mir – so wie das Maultier (Pirda, gleicher Wortstamm wie Trennung, Preda) keine Nachkommen erzeugt, so ist es jenem Mann unmöglich, seine Nachkommen mit den Nachkommen Awrahams zu vermischen; denn wie sie sich jetzt getrennt haben, deutet darauf, dass sie sich nicht miteinander verbinden können" (Gwurot Haschem, 47.Kap.).
 
Diese prinzipielle Trennung von Lot und Awraham kommt in der Folge im Verhalten Lots zum Ausdruck. "Und Lot brach auf gen Osten (13,11 – er entfernte sich von Ihm, der vor der Welt schon da war; Raschi/Midrasch), und damit schloss er sich nicht nur den Leuten von Sdom an, "und die Männer von Sdom waren sehr böse und sündhaft gegen den Ewigen" (13,13), sondern in bestimmter Hinsicht auch der Generation vor der Sintflut "als sie gen Osten her zogen" (11,2; und zog damit das temporäre Leben Sdoms, von dem es heißt: "es war wie ein Garten des Ewigen, wie Ägypten" 13,10, dem ewigen Garten G~ttes vor, über den es heißt: "Und es pflanzte der Ewige, G~tt, einen Garten in Eden, nach Osten hin" 2,8).
 
Später kommt dieser krasse Unterschied in den Geboten der Tora zum Ausdruck: "Es soll kein Ammoniter und Moabiter [die Nachkommen Lots] in die Gemeinde des Ewigen kommen… bis auf ewig" (Dt. 23,4). Darüber hinaus steht im Sohar, dass Awraham den guten Trieb vorstellt, und Lot den bösen Trieb (der Wortstamm L-O-T bedeutet Fluch, im Gegensatz zu Awraham, von dem es heißt: "..und es werden sich segnen mit dir alle Geschlechter des Erdbodens", Gen. 12,3).
 
Doch gerade die Beschreibung der Trennung verdeutlicht, wie kompliziert die Beziehung zwischen unserem Stammvater Awraham mit seinem Verwandten Lot wirklich war. Der Ausdruck "Bruder" kehrt in seinen verschiedenen Beugungen immer wieder. "Nicht doch sei Gezänk zwischen dir und mir…denn Verbrüderte sind wir… und es trennte sich jeder von seinem Bruder" (Gen. 13,8/11). Und einige Zeit später: "Als Awram hörte, dass sein Bruder gefangen war" (Gen. 14,14), da gefährdete er sein Leben, um ihn aus der Gefangenschaft zu befreien. Nach der Wahl von Lot, "sich von Ihm zu entfernen, der vor der Welt schon da war, und sagte, ich will weder Awram noch seinen G~tt" (s.o.), sagt die Tora "und es trennte sich jeder von seinem Bruder". Der Wunsch nach Trennung resultierte also nicht aus Zorn oder Hass, sondern aufgrund logischer Überlegung zum Besten beider Seiten. Dieses Verhältnis der Brüderlichkeit entsprang der Identifizierung des guten Kerns, der trotz allem in Lot verborgen war. Diese Sache offenbarte sich im Laufe der späteren Generationen, als das davidische Königtum von Ruth, der Moabiterin und Na’ama der Ammoniterin hervorging, im Lichte der Erklärung der talmudischen Weisen, die die absolute Abweisung der Nachkommen Lots relativierten, und als Halacha festlegten: "Ammoniter, aber nicht Ammoniterin, Moabiter, aber nicht Moabiterin" (Jewamot 69a).
 
Und obwohl wir den Schritt unseres Vorvaters Awraham ausgezeichnet verstehen und trotz seiner zahlreichen Aspekte nachvollziehen können, unter Einbeziehung der Ansicht Rabbi Nechemjas im Midrasch, der Awraham für seine Trennung von Lot lobt, von seinen Sünden und seinen Trieben, so kennen wir doch auch die Ansicht von Rabbi Juda, der Awraham kritisiert: "Allen hängt er an, und seinem Bruder Lot hängt er nicht an?!" Und da es hier um einen Nichtjuden geht – was sollen wir erst sagen, wenn von einem Juden die Rede ist?
 

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