Ein Engel auf Erden – Wajeze

Ein berühmter Ausspruch von Rabbi Israel Baal Schem Tow lautet: „Das physische Leben eines Juden ist spiritueller Natur.“

4 Min.

Rabbiner Yanki Tauber

gepostet auf 06.04.21

Ein berühmter Ausspruch von Rabbi Israel Baal Schem Tow lautet: „Das physische Leben eines Juden ist spiritueller Natur.“ Das hört sich gut an; aber was bedeutet es?

Zwei wandernde Freunde kamen an eine Weggabelung. Ein Weg führte auf einen Berg, und auf einem Wegweiser stand:

„Zu einem spirituellen Leben“.

Der zweite Weg führte hinab ins Tal, und ein Wegweiser verkündete:

„Zu einem physischen Leben“.

Die Freunde zögerten; doch schließlich beschlossen sie, dass A den ersten und B den zweiten Weg probieren sollte. Sie vereinbarten, sich in zwanzig Jahren wieder zu treffen und ihre Erfahrungen auszutauschen.

A stieg auf den Berg. Auf dem Gipfel fand er einen blauen Himmel, einen Teich, den eine Quelle mit Wasser speiste, und eine Bibliothek mit heiligen Schriften. Jeden Morgen stand er vor der Dämmerung auf, tauchte in seine reine Mikwe und verbrachte dann den Tag mit Meditation, Gebet und Studium.

B folgte dem anderen Weg in eine geschäftige Stadt. Er heiratete und hatte ein Dutzend Kinder. Um sie zu ernähren, gründete er ein Geschäft, das trotz (oder wegen?) seiner absoluten Ehrlichkeit blühte. Er wurde ein einflussreicher Mann in seiner Gemeinde, deren Anliegen er bald seine Abende und Nächte widmete. An den Wochenenden sammelte er Geld für wichtige karitative Zwecke. Zugleich war er der Treuhänder und spendete selbst großzügig. Dennoch hatte er Zeit, jeden Abend mit den Kinder Hausaufgaben zu machen, und er versäumte nie einen Elternabend. Sein Haus war berühmt für seine Gastfreundschaft, und er ließ es sich nicht nehmen, seine Gäste selbst zu bewirten und sich ihre Geschichten anzuhören.

Nach zwanzig Jahren trafen sich die Freunde wie vereinbart dort, wo sich ihre Wege trennten.

„Na, wie ist das spirituelle Leben?“, fragte B.

„Es ist großartig“, versicherte A. „Es ist ein langer, schwieriger Weg, aber wenn du beharrlich bleibst und nicht aufgibst, erreichst du dein Ziel.“

„Und was ist das Ziel?“

„Das Selbst zu überwinden. Das Ich zu transzendieren. Das Ich in der Unendlichkeit des G-ttlichen zu verlieren. Ich musste viele, viele Jahre studieren, meditieren und beten; aber heute Morgen erlebte ich zum ersten Mal in meinem Leben den sublimen Zustand der Selbstlosigkeit.“

„Das Ich transzendieren?“, wunderte sich B. „Also, ich habe zwanzig Jahre lang gar nicht an mich gedacht.“

Thora Parascha

Wajeze, der neue Wochenabschnitt (Genesis 28-32), wird von Engeln gesäumt. Es gibt zwei Gruppen von Engeln am Anfang und zwei am Ende der Parascha. Lesen Sie weiter, auch wenn es jetzt ein wenig theoretisch wird.

Wajeze erzählt von Jaakow, der zwanzig Jahre in Charan lebt. Zunächst verlässt er das Heilige Land, wo er die erste Hälfte seines Lebens abgeschieden in den „Zelten des Studiums“ verbracht hat. Unterwegs übernachtet er auf dem Berg Moria und träumt von einer Leiter, die Himmel und Erde verbindet und auf der „Engel Gottes hinauf- und hinabstiegen“ (Gen. 28:12). Engel kommen bekanntlich vom Himmel. Wäre es dann nicht logisch, wenn sie zuerst hinab- und dann hinaufsteigen würden?

Die Kommentare erklären: Es handelte sich um zwei verschiedene Gruppen von Engeln. Im Heiligen Land hatte Jaakow Engel, die ihn begleiteten. Aber diese Engel mochten keine unheiligen Orte, und als Jaakow das Heilige Land verließ, wurden sie von einer anderen Engelgruppe abgelöst. Was er im Traum sah, war dieser „Wachwechsel“. Die Engel des Heiligen Landes stiegen auf der Leiter in den Himmel empor, und die anderen Engel stiegen hinab, um sie zu ersetzen.

Dann lesen wir, dass Jaakow in Charan ankommt, Labans Herde hütet, Lea und Rachel heiratet, elf Söhne und eine Tochter bekommt und ein Vermögen an „Schafen, Mägden, Knechten, Kamelen und Eseln“ erwirbt. Der Abschnitt endet mit seiner Heimreise. Als er die Grenze zum Heiligen Land überschreitet, gibt es wieder zwei Gruppen von Engeln. Diesmal jedoch wird keine von der anderen abgelöst – sie bleiben beide bei Jaakow (Gen. 32:2-3; Raschi).

Auch in unserem Leben gibt es zwei Länder, ein heiliges und ein nicht-heiliges, ein überweltliches und ein weltliches, ein spirituelles und ein materielles. Während unseres Lebens verbringen wir Jahre in den „Zelten des Studiums“ und Jahre mit der Gründung und Versorgung einer Familie. Unsere Wochen schließen den Schabbat und die Werktage ein. Und zu unseren Tagen gehören Gebete und Lernen sowie Stunden im Büro, zu Hause und auf dem Marktplatz.

Engel begleiten uns überall. Unsere Weisen lehren, dass jedes Mal, wenn wir etwas Gutes tun, ein Engel geschaffen wird. Mit spirituellen Taten erschaffen wir „Engel des Heiligen Landes“, mit guten Taten auf der materiellen Ebene erschaffen wir „Engel des nicht-heiligen Landes“.

Am Anfang unserer Reise bewohnen die beiden Engelgruppen verschiedene Ebenen unseres Lebens, die einander sogar widersprechen. Spiritualität scheint eine Beschäftigung mit materiellen Dingen auszuschließen, und materielle Dinge verhindern scheinbar spirituelles Wachstum. Wenn die Zeit kommt, ein materielles Land zu betreten, bleiben unsere spirituellen Engel an der Grenze zurück. „Geh weiter“, sagen sie. „Die anderen werden sich um dich kümmern. Wir warten hier, bis zu zurückkehrst“.

Doch wenn wir nach einem erfolgreichen Leben zurückkommen, stellen wir fest, dass auch die nicht-heiligen Engel bei uns bleiben. Diesmal gibt es keinen Wachwechsel, sondern die zwei Bataillone von Engeln marschieren gemeinsam, um unsere triumphale Heimkehr zu verkünden. Denn im Gegensatz zu ihren Brüdern aus dem Heiligen Land fühlen die Engel der materiellen Ebene sich im Heiligen Land pudelwohl!

Letztlich ist das physische Leben eines Juden also eine sehr spirituelle Angelegenheit.
 

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