Die Sudeten von Palästina (1)

Noch vor gar nicht so langer Zeit hätte die gesamte Welt die Behauptung als absurden Scherz abgetan ...

5 Min.

Dr. Steven Plaut

gepostet auf 05.04.21

Noch vor gar nicht so langer Zeit hätte die gesamte Welt die Behauptung als absurden Scherz abgetan, den Ursprung des arabisch-israelischen Konfliktes bilde die Notwendigkeit palästinensischer "Selbstbestimmung". Tatsächlich behaupteten selbst die Araber nie so etwas bis weit nach 1967.

Vor 1967 erklärten die Araber mit erfrischender Aufrichtigkeit als ihr Ziel, das zionistische Gebilde zu vernichten und alle Juden ins Meer zu werfen. Palästinenser hatten mit alledem herzlich wenig zu tun. In diesem Konflikt ging es nicht im Geringsten um palästinensische "Selbstbestimmung". Die Palästinenser wurden weder von den Arabern noch irgendjemand anderem als jemand angesehen, der besonders der "Selbstbestimmung" bedürfe oder gar ein Recht darauf habe. Wäre so ein Bedürfnis erkannt worden, hätte nichts die arabische Welt davon abgehalten, einseitig solche "Selbstbestimmung" zu gewähren und den Palästinensern in den weiten Teilen Palästinas einzurichten, die bereits von arabischen Ländern kontrolliert wurden: auf dem Jordan-Westufer ("Westbank"), im Gazastreifen, im gesamten Gebiet von Transjordanien und den Teilen von Syrien und Libanon, die legitim als "palästinensisch" bezeichnet werden können.

Wenn die Palästinenser wirklich eine "Nation" und ihres eigenen Staates bedürftig gewesen wären, hätte weder die arabische Welt noch die Vereinten Nationen etwas davon abgehalten, so einen Staat zu schaffen. Israel hätte mit der ganzen Sache nichts zu tun gehabt. Aus anderen Teilen der Welt war keine einzige Stimme zu hören, die solche "Selbstbestimmung" für die Palästinenser gefordert hätte, und das zwei Generationen, nachdem der amerikanische Präsident Woodrow Wilson den Begriff der "Selbstbestimmung" zu einem Grundsatz internationaler Beziehungen gemacht hatte.

Allen war klar, dass der arabisch-israelische Konflikt absolut überhaupt nichts mit palästinensischer "Selbstbestimmung" zu tun hatte, sehr wohl allerdings mit jüdischer Selbstbestimmung. In diesem Konflikt ging es um die arabische Absicht, jede Spur von jüdischer Selbstbestimmung im Lande Israel durch militärische Aggression zu eliminieren.

Die Araber weigerten sich, irgendwelche jüdische Selbstbestimmung zu akzeptieren, innerhalb welcher Grenzen auch immer.

Bis 1967 hielt es die arabische Welt nicht für nötig, für Propaganda und Public-Relations-Kampagnen in der nicht-arabischen Welt besondere Mühe aufzuwenden. So wie Ben Gurion die UNO und allgemeine Weltmeinung gering schätzte (indem er sagte: "Es kommt nicht darauf an, was die Welt denkt, sondern was wir tun"), zeigten die Araber wenig Interesse daran, was die Ungläubigen jenseits des Hauses des Islam über sie dächten, und verschwanden kaum Zeit darüber, ihren Standpunkt in den Medien im rechten Licht erscheinen zu lassen. Es reichte vollkommen, dass ihr Standpunkt in ihren eigenen Augen offensichtlich der richtige war. Arabische Sprecher riefen routinemäßig zum Völkermord und Vernichtung der israelischen Juden auf. Achmed Schukeiri, der Gründer der PLO, versprach, nach der Befreiung Palästinas keinen einzigen Juden am Leben zu lassen.

Nach 1967 änderte sich die Lage schlagartig. Die Araber merkten, dass sie einen Großteil der westlichen öffentlichen Meinung durch gezielte medienwirksame Fehlinformationen beeinflussen konnten, insbesondere durch einen Theaterspiel der Krokodilstränen über die angeblichen Leiden misshandelter Palästinenser. Plötzlich – nach 1967 – entdeckten die Araber (zu ihrem eigenen Erstaunen, wie dem Anderer), dass es sich bei den vor ihrer Nase sitzenden Palästinensern um eine "Nation" handele, die zu Wilsonscher "Selbstbestimmung" berechtigt sei. Dabei fiel natürlich überhaupt nicht auf, dass sie selbst nie das geringste Interesse gezeigt hatten, jenen eine solche "Selbstbestimmung" in den von ihnen vor bzw. auch nach 1967 kontrollierten Teilen Palästinas zu gewähren.

Wohl existierten einige zweitrangige kulturelle und sprachliche Unterschiede zwischen Palästinensern und anderen Arabern in Jordanien, Syrien und dem Libanon. Doch diese waren weit weniger von Bedeutung als ähnliche Unterschiede zwischen Arabern in verschiedenen Teilen des Irak, innerhalb Ägyptens, Libyens oder Marokko, und niemand dachte auch nur im entferntesten daran, aus diesen Unterschieden eine legitime Basis für jene Gruppen von Arabern für "Selbstbestimmung" konstruieren zu wollen.

Stattdessen wurden die "nationalen Rechte" und die Notwendigkeit palästinensischer "Selbstbestimmung" zum Mantra der weltweiten arabischen Propaganda, wie sie von ihren PR-Sprechern (und gelegentlich Sprecherinnen) verbreitet wurde. Die westliche Öffentlichkeit, die sich nie gänzlich ihrer verborgenen Antipathien und ihres Misstrauens gegenüber den Juden entledigt hatte, sah in dieser propagandistischen Wendung eine akzeptable Grundlage für die Unterstützung arabischer Ambitionen. So konnten arabische Aggression und Terrorismus auf eine rationale Basis gestellt werden, nicht etwa aus einem unmodernen und als schändlich angesehenem Gefühl tief verwurzelten Judenhasses heraus, sondern aus politisch korrektem Mitgefühl für palästinensische "Opfer des Unrechtes" – die enteignete "palästinensische Nation" auf der Suche nach ihrem Heimatland. Eine westliche Welt, die mit sich selbst nie so ganz einig wurde über so simple Fragen wie die Notwendigkeit für oder das Recht auf Selbstbestimmung der Flamen, Wallonen, nordirischer Protestanten, Korsen, Schotten, Waliser, Quebecois, Basken, Katalonen oder Bretonen, wurde sich ganz erstaunlich einig über eine Sache: dass die Palästinenser ein Recht auf "Selbstbestimmung" und Unabhängigkeit hätten, selbst wenn dadurch die Existenz Israels aufs Spiel gesetzt würde.

Die Befürworter palästinensischer Selbstbestimmung nehmen niemals die Logik ihres Standpunktes zu genau unter die Lupe, da die Widersprüche zu sehr hervortreten würden. Wenn die Palästinenser so sehr der "Selbstbestimmung" bedürfen, warum ausgerechnet nur unter Beteiligung Israels? Jordanien ist doch auch Palästina. Wie kommt es eigentlich, dass die jordanischen Palästinenser niemals "Selbstbestimmung" nötig hatten? Und warum brauchten die Westbank- und Gaza-Araber keine Selbstbestimmung am 4.Juni 1967, wohl aber einige Tage später? Wie kommt es, dass Palästinenser niemals Selbstbestimmung benötigen, außer wenn sich dabei israelische Gebietsabtretungen und eine strategisch gefährliche Lage für die Existenz Israels erzielen lässt?

Und woher stammt eigentlich genau die moralische Grundlage für solche "Selbstbestimmung"? Entweder handelt es sich bei den Palästinensern um Araber, oder nicht (ganz offensichtlich sind sie welche). Wenn sie als Araber gelten – warum können dann 22 unabhängige arabische Staaten, deren Gebietsausdehnung die der USA übertrifft, nicht mehr-als-genügende "arabische Selbstbestimmung" bieten, genug, um jede restliche Forderung nach weiterer arabischer "Selbstbestimmung" zu einer Verhöhnung der Gerechtigkeit zu degradieren? Und wenn die Palästinenser nicht als Araber gelten, und somit 22 unabhängige arabische Staaten immer noch nicht ausreichen, das Bedürfnis palästinensischer Selbstbestimmung zu stillen, warum haben die Palästinenser niemals ihre nationalen Rechte und Gebiete von diesen anderen arabischen Völkern, unter denen sie lebten und zu denen sie "nicht gehörten", gefordert? Warum haben die Palästinenser niemals Selbstbestimmung für jene Palästinenser gefordert, die nicht unter israelischer Kontrolle standen, wie z.B. die in Jordanien und Libanon?

Die Beschwörung des Rechtes auf palästinensische "Selbstbestimmung" durch die Araber hatte im Westen einen ihre wildesten Fantasien übertreffenden Erfolg. Gegen Ende der 70er Jahre hatte es sich zu einer von fast Allen geglaubten Wahrheit gemausert, die in den westlichen Medien obsessiv wiederholt wurde (wegen ihres meist weniger als einen Monat zurückreichenden Gedächtnisses), wonach das Bedürfnis palästinensischer "Selbstbestimmung" immer schon die Grundlage des Nahostkonfliktes darstellte. Wenn Israel nur endlich den Palästinensern diese "Selbstbestimmung" gewährte und zu seinen Grenzen von 1949 (mehr oder weniger) zurückkehrte, müsste der Konflikt logischerweise endigen, da sich seine Existenzgrundlage verflüchtigt hatte.

In Israel nahm man diese Argumentation zunächst überhaupt nicht ernst. Ganz offensichtlich hatten die Araber ein Hirngespinst produziert, mit dem sie den Westen zu Druck auf Israel zu drängen hofften, sich auf seine "Auschwitzgrenzen" (Abba Eban)zurückzuziehen. Die Araber wollten nur wieder aufs Neue versuchen, was sie schon mit ihren Angriffen auf Israel von 1948, 1967 und 1973 vorhatten.

Es dauerte bis in die 80er Jahre, als schließlich die israelische Linke und die Liberalen der jüdischen Diaspora auf den "Selbstbestimmungs"-Zug aufsprangen. Sie appellierte an ihr Gefühl von liberaler Schuld und moralischer Symmetrie. Wenn Israel das Recht der Palästinenser auf "Selbstbestimmung" anerkannte, würden die Araber ganz sicherlich die Ehre erwidern. Ist doch nur fair. Sportsgeist und feine Manieren verlangen, dass sich beide Seiten gleich verhalten. Die Liberalen weigerten sich standhaft zu glauben, die arabische Welt sei kein englisches Kricket-Team.

Auf der Grundlage dieser vermeintlichen moralischen Symmetrie sahen israelische und jüdische Linke mehr und mehr in der Gewährung von "Selbstbestimmung" an die Palästinenser den Schlüssel zur Lösung des Nahostkonfliktes. Eine Gruppierung nach der anderen schloss sich an, einschließlich des gesamten Spektrums politischer Institutionen des Diaspora-Judentums, und in Israel von der radikalen Linken über die Arbeiterpartei bis sogar hin zum Likud. Und jeder, der versuchte, diesen Trugschluss infrage zu stellen, wurde von jenen Fürsprechern palästinensischer "Selbstbestimmung" sofort als Feind des Friedens abgestempelt, als Mensch, der Boden höher schätzt als menschliches Leben, oder den Frieden.

Fortsetzung folgt!

Dr. Steven Plaut lehrt Geschäftsführung und Wirtschaftslehre an der Universität Haifa, Israel. Übersetzung: Rafael Plaut, Chefredakteur von: Kimizion
 
 
 

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