Die Sudeten von Palästina (2)
"Selbstbestimmung" ist ein Instrument militärischer Aggression, Gewalt und Völkermord.
Auf der Suche nach analogen Fällen zum Nahostkonflikt gibt es nur einen einzigen, der alle Elemente des arabisch israelischen Disputes umfasst, einer, der besser als alle anderen den wahren Kern des Konfliktes illustriert und besser als alle anderen die wirklichen politischen Interessenslagen beleuchtet. Daneben handelt es sich auch um die beste Quelle für Lehrmaterial für den Gebrauch von "Selbstbestimmung" als ein Instrument militärischer Aggression, Gewalt und Völkermord. Es geht um das Lehrbeispiel Sudetenland.
Selbst nach nur kurzem Überfliegen der Geschichte des tschechisch-deutschen Konfliktes kommt einem das nicht ganz geheure Gefühl des "schonmal dagewesen" hoch. Die Kampagne für palästinensische "Selbstbestimmung", die heute von fast jedermann auf der Welt, darunter dem Großteil des Diaspora-Judentums und des politischen Spektrums in Israel unterstützt wird, erinnert wie nichts anderes an eine fast identische Kampagne, unter ähnlich universaler Zustimmung, nämlich der zur Selbstbestimmung der Sudetendeutschen in den späten 30er Jahren. Die Verhandlungen über palästinensische Selbstbestimmung ähneln ganz enorm den Verhandlungen über das Sudetenland.
Einwendungen gegen die moralische, legale oder strategische Grundlage für palästinensische "Selbstbestimmung" werden mit derselben automatischen Zurückweisung und gekränkter Selbstgerechtigkeit behandelt wie ähnliche Kritik in den 30er Jahren an dem Verlangen nach sudetendeutscher Selbstbestimmung. In beiden Fällen bestanden die westlichen Demokratien darauf, dass Selbstbestimmung für die "Unterdrückten" eine sofortige und erhaben gerechte Lösung böte, die den Konflikt beenden und Ruhe einkehren ließe.
Im Jahre 1938, mitten in den Verhandlungen zur Regelung des Sudetenkonfliktes, warnte der Präsident der Tschechoslowakei, Dr. Eduard Benesch, den Westen: „Glauben sie nicht, es gehe hier um Selbstbestimmung. Von Anfang an war dies ein Kampf um die Existenz des Staates“.
Einige Jahre später, nach Gewährung von Selbstbestimmung für die Sudeten und dem Ende der Tschechoslowakei als eigenständigem Staat, bemerkte Benesch, dann im Exil, dass "so ein Konzept der Selbstbestimmung a priori den zehn Millionen Tschechoslowaken das Recht auf Selbstbestimmung abspricht und die Existenz des tschechoslowakischen Staates an sich ausschließt".
Der weltweite Kampf um palästinensische Selbstbestimmung begann ca. 25 Jahre nach dem Erlangen jüdischer Selbstbestimmung durch die Unabhängigkeit des Staates Israel.
Die Kampagne um Selbstbestimmung für die Sudetendeutschen begann etwa 20 Jahre nach Schaffung der neuzeitlichen Tschechoslowakei. In beiden Fällen ignorierten die Fürsprecher der "Selbstbestimmung" die offensichtliche Tatsache einer bereits für die große Mehrheit der infrage stehenden Völker bestehenden Selbstbestimmung in Gestalt der deutschen und arabischen Nationalstaaten, die jeweils an die umstrittenen Gebiete angrenzten. In beiden Fällen wurden die Bevölkerungen der begehrten Länder von den Aggressoren als "Außenseiter" bezeichnet, als nicht in die Region gehörend. Die Tschechen waren Slawen, Eindringlinge in den deutschen Lebensraum, Außenseiter, genau wie die Israelis zu den Ungläubigen zählen und als Außenseiter in den arabischen Lebensraum eindrangen. In beiden Fällen zog es die Welt vor, die Anzeichen zu ignorieren, wonach die Forderungen nach "Selbstbestimmung" von ihren Befürwortern nur als ein Feigenblatt für militärische Aggression zur Zerstörung der Selbstbestimmung einer anderen Nation benutzt wurde.
Der tschechoslowakische Staat war wie Israel ein Land, das nach Jahrhunderten rekonstruiert wurde, nachdem er zerstört und von anderen vor vielen Generationen absorbiert worden war. Im Mittelalter waren Böhmen und Mähren separate tschechische Königreiche, die sich unterschiedliche Grade von Selbständigkeit erfreuten, im allgemeinen im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches. Während des Hussitenaufstandes im 15. Jahrhundert erlangten die Tschechen wieder die volle Unabhängigkeit in einer an die Makkabäer erinnernden bewaffneten Auseinandersetzung. Ihre Unabhängigkeit ging dann im Jahre 1620 endgültig verloren, und die tschechischen Länder wurden vom Reiche Habsburg absorbiert, während die tschechische Bevölkerung zerstreut wurde.
Nach dem ersten Weltkrieg, nach Jahrhunderten der Verfolgung, erneuerten die Tschechen ihre Souveränität, stellten ihre Selbstbestimmung zusammen mit ihren slowakischen Vettern im Staate Tschechoslowakei wieder her, der sich im Zuge der nach-kommunistischen Ära wiederum in Tschechei und Slowakei aufteilte.
Dr. Steven Plaut lehrt Geschäftsführung und Wirtschaftslehre an der Universität Haifa, Israel. Übersetzung: Rafael Plaut, Chefredakteur von: Kimizion
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