Tage der Liebe

Der Satan will uns ständig einreden: „Mach dir eine schöne Zeit! Zur Hölle mit der Zukunft!“ Besser lässt sich unsere schnelllebige Generation wohl nicht beschreiben.

5 Min.

Rabbiner Lazer (Elieser Rafael) Brody

gepostet auf 05.04.21

Jom Kippur bietet uns die Gelegenheit, vieles wieder in Ordnung zu bringen
 
Schade ist dabei aber nur, dass die meisten Menschen nicht versuchen, kaputtgegangene Dinge zu reparieren. Wenn beispielsweise etwas zerbricht, muss man sehr kreativ sein, um herauszufinden, wie man die Scherben nochmals verwenden kann. Ein weiteres sehr gutes Beispiel ist ein beschädigter Schrank. Der eine ist verärgert und nutzt die Gelegenheit, einen neuen Schrank zu kaufen, da der beschädigte schon alt ist und die Scharniere quietschen, die Farbe nicht mehr passt. Der andere wird sich zwar ärgern, aber sagen, dass der Schaden noch klein ist und man mit einer Neuanschaffung warten kann, bis der Schrank richtig kaputt ist. Derjenige, der handwerklich begabter ist, wird Zeit in die Reparatur investieren, damit sich der Schaden nicht verschlimmert und er den Schrank noch viele Jahre benutzen kann.

Dies ist eine Metapher für unser Leben. Wenn jemand einen anderen verletzt, wird er sich genauso wie der Besitzer eines Schrankes verhalten und sich für eine der drei Methoden entscheiden. Entweder wird er die Freundschaft kündigen und sich andere Freunde suchen, oder er wird die Freundschaft fortsetzen, bis der Bruch schlimmer wird, und sich erst dann neue Freunde suchen. Im Idealfall wird er jedoch alles dafür tun, mit seinem Freund zusammenzusitzen, um die gegenseitigen Probleme zu besprechen, damit die Freundschaft verbessert und vertieft wird.
 

Fehler 
 
Ab Beginn des Monats Elul und danach im Monat Tischrei und während der Feiertage Rosch Haschana und eben dem Tag der Liebe, Jom Kippur können wir oft von „Teschuwa“ (Umkehr) hören: 

  • Man muss zur Religion umkehren!
  • Man muss seine Wege korrigieren!
  • Man muss mit den schlechten Taten aufhören!

Viele Menschen denken dann: 

  • Umkehr?
  • Verbesserung unserer Wege?
  • Wieso?
  • Ich bin ganz in Ordnung!
  • Ab und zu habe ich Fehler gemacht, aber allgemein gesehen bin ich seit meiner Geburt nicht der größte Sünder aller Zeiten, wohin soll ich dann umkehren?

 
Die Tora macht es uns leicht mit dem Versuch, diese Frage zu beantworten. In der Tora steht: »Dass Du zurückkehrst zu dem Ewigen, Deinem Gott« (5. Buch Moses 30,2) … wer nun mit seinem Herzen weiter denkt, wird seine persönliche Umkehr finden!

Als ich vergangenes Jahr am letzten Schabbat des Jahres in die Synagoge ging, fiel mir ein niedlicher fünf Jahre alter Junge auf. Er war perfekt angezogen. Neue, sehr teure Markenschuhe und ein noch eleganterer Anzug. Nachdem Gebet lief er dann heraus, um mit den anderen Kindern Fußball zu spielen. Nur wenige Minuten verstrichen und der Junge kam erneut in die Synagoge und suchte seinen Vater. Verängstigt und mit einer kleinen Beule am Kopf schilderte er seinem Vater, dass er beim Spielen einen heftigen Schlag einstecken musste. Doch der Vater streichelte seinem Junior über den Kopf und beruhigte ihn wieder mit einem Bonbon. Kurz darauf lief der Junge zum Weiterspielen erneut hinaus.
 
Als der Gottesdienst zu Ende war, waren die nagelneuen Markenschuhe dieses kleinen Burschen zwar nicht aufgerissen, dafür aber extrem verdreckt. Und wie es um seinen neuen Versace-Anzug stand, brauche ich nicht weiter ausführen. Eines steht fest: Wenn der Vater mit seinem Jungen nach Hause kommt, werden die beiden eine Standpauke von der Mama zu hören bekommen.
 
Aus dieser einfachen Geschichte können wir aber zwei sehr wichtige Botschaften für uns entnehmen:

  1. Rabbi Huna lehrte (Talmud Traktat Yoma 86b), dass ein Mensch nur dann ein und denselben Fehler zweimal begeht, wenn sein Kopf es auch zulässt.
  2. Der Reschit Chochma, lehrt uns im Namen des kabbalistischen Buches Zohar, dass auch wenn eine Sünde unbedacht geschieht, sie auf jeden Fall die Seele beschmutzt.

 

 

 
Versuchen wir das Gesagte auf unsere Geschichte zu übertragen. In unserem Beispiel war es nicht der Fehler des kleinen Jungen, in die Schusslinie der zehn Jahre älteren Fußball spielenden Jungen zu kommen und dann mit einer Beule am Kopf seinen Vater aufzusuchen. Aber er war durchaus verantwortlich dafür, dass sein neuer Schabbat-Anzug und seine exklusiven Schuhe nun ihren WOW-Effekt völlig verloren hatten, da sie ja nun extrem verdreckt und verschlissen waren.
 
Unsere Seele ist wie ein blütenweißer Stoff. Ein Vergehen – wie Lügen, unehrenhafte Geschäfte, der Glanz, etwas verbotenes zu tun oder gar Ehebruch begehen – beschmutzen unsere Seele ernsthaft! Und wenn unsere Seele erst einmal beschmutzt wurde, geht spirituell nichts mehr.
 
Aber noch viel schlimmer dabei ist, dass ein Mensch nun einen Freibrief zu haben glaubt und beginnt, seine Fehler ständig zu wiederholen bzw. zu vertiefen. Doch wem kümmert es, die Betroffenen finden immer 101 Gründe, um ihre Taten zu rechtfertigen. Und eben jene wiederholten Missetaten desensibilisieren das Gefühl für die Reinheit unserer Seele – und auch ihre Empfindsamkeit.
 
Die Seele leidet unbeschreiblich unter jeder Verschmutzung. Man kann dies mit Flecken auf unserer feierlichen Abendkleidung vergleichen. Ich möchte ausgehen, mache mich schick – und plötzlich erscheint ein riesiger Fleck auf dem Jackett – wie peinlich! Auf so ein dummes Erlebnis ist sicherlich niemand scharf.
 
Wie dem auch sei, es ist geschehen und nun wird ein gutes Waschmittel den Dreck aus der Kleidung waschen. Den Dreck, der sich an unserer Seele festgefressen hat, muss durch die Teschuwa (den Rückweg zu Gott) rein gewaschen werden.
 
Wir befinden uns gerade inmitten der heiligen zehn Tage des Bereuens zwischen Rosh haSchana und Jom Kippur. Gott ist so gnadenvoll, dass jeder Fehler, den ein Mensch in diesen Tagen aufrichtig vor Haschem bereut – sogar wenn über ihn an Rosh HaShana schon ein hartes Urteil gesprochen wurde – Gott liebevoll ist und auf ihn mit offenen Armen wartet. Rabbi Nachman aus Breslev formulierte dies so: „Verzweiflung hat auf der Welt nichts verloren!“
 
Der Satan will uns ständig einreden: „Mach dir eine schöne Zeit! Zur Hölle mit der Zukunft!“ Besser lässt sich unsere schnelllebige Generation wohl nicht beschreiben. Aber wenn dies so eine gute Philosophie ist, warum gibt es dann so viele depressive Menschen ???
 
Diese Woche stehen die Türen des Himmels weit geöffnet. Wir können nun also tatsächlich Teschuwa machen, um so die mögliche Härte des bereits am Rosch Haschana gefällten Urteils des Himmels zu mildern.
 
Der Talmud (Traktat Taanit) sagt uns, dass die beiden besten Tage im Judentum der 15.Av und Jom Kippur sind.
 
WIE BITTE? Moment einmal – der 15. Av ist doch ein Tag der Liebe, ein  fröhlicher Tag der Romantik, gut um Hochzeiten zu planen. Was hat er mit einem Tag wie Jom Kippur zu tun?
 
Verzeihen ist aber wahrscheinlich der höchste Ausdruck von Liebe. An Jom Kippur – vorausgesetzt wir begehen ernsthaft Teschuwa – wird unser Vater im Himmel uns alle unsere Sünden vergeben. Das ist wie ein Bankier, der mit nur einem schnippen seines Fingers für dich eine Million Dollar gewinnt. Was gibt es für einen größeren Ausdruck von Liebe.
 
Bete mit Freude an diesem Jom Kippur für das Recht fröhlich zu sein. Es ist der fröhlichste Tag im jüdischen Kalender. Bereiten wir uns darauf gewissenhaft vor und seien wir vorsichtig, keine von diesen wertvollen Stunden zu vergeuden.
 
So Gott will, wirst du und werden alle Menschen, die dir am Herzen liegen, in das Buch eines langen und glücklichen Lebens und für ein wunderbares Neues Jahr eingetragen – Amen!

 

 

Ins Deutsche übertragen von Rabbiner David Kraus (M.A in Psychologie und Integrativer Psychotherapie | Dipl. Paar- und Familientherapeut | Dipl. Pädagogischer Elternberater) finden Sie bei Facebook.

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