Ölflasche

Vor mehr als 100 Jahren ging ein Rabbiner aus Jerusalem ins Ausland … nach Mailand.

3 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 17.03.21

Vor mehr als 100 Jahren ging ein Rabbiner aus Jerusalem, Rabbi Lipa Goldberg – Name geändert – ins Ausland, um Geld für ein Mizwa-Projekt zu sammeln. Rabbi Lipa kam in Mailand am Freitagabend – kurz vor dem Lichtzünden- an.. Ohne jemand in Mailand zu kennen ging Rabbi Lipa durch die Stadt in der Hoffnung, das jüdische Viertel oder jemanden zu finden, bei dem er über Schabbat unterkommen könnte.
 
Plötzlich kam eine Pferdekutsche an, die neben Rabbi Lipa hielt, und der Passagier  rief: „Schalom Aleichem, was ist mit dir? Rabbi Lipa, was machst du denn in Mailand?“
 
Rabbi Lipa schaute erstaunt auf und sagte: „Ich bin aus Jerusalem in diese Stadt gekommen und ich suche das jüdische Viertel.“
 
„Du hast Glück“, sagte der Kutschenfahrer. Sofort lud er Rabbi Lipa zu sich nach Hause zur Schabbatfeier ein. Mehrere Stunden später, Rabbi Lipa saß bei der Rosenthal-Familie und genoss ein reichhaltiges Schabbat-Essen . Das Haus der Rosenthals war voll von wunderbaren Kristallgläser, Flaschen und Silbergefäße. Wie auch immer, überall standen sehr teure Stücke im China-Kabinett. Rabbi Lipa bemerkte aber eine zerbrochene Glasflasche. Diese Flasche störte ihn unter dieser ganzen China- und Silberwaren. Als Rabbi Lipa daraufhin Herrn Rosenthal  wegen der zerbrochenen Flasche fragte, erzählte Herr Rosenthal ihm folgende Geschichte:
  
Der Gastgeber wurde in einem Thora getreuen Haus in Amsterdam geboren. Im Alter von 18 Jahren reiste er nach Italien um das Geschäft seines kranken Großvaters zu führen. Doch sehr bald nach seiner Ankunft in Mailand verstarb sein Großvater. Doch obwohl seine Eltern ihn baten den Laden zu verkaufen und nach Hause zurückzukehren, entschied er, in Italien zu bleiben und das Geschäft seines Großvaters zu übernehmen.
 
Es dauerte nicht lange bis das Geschäft gut lief und Herr Rosenthal noch ein weiteres aufmachen konnte. Eines Tages war er so mit der Arbeit beschäftigt, dass er sogar das Mincha-Gebet vergaß. Dies war dann der Beginn vom Verlust seiner Jüdischkeit. Bald darauf vergaß er sogar den Schacharit und vergaß auch eineMizwa nach der anderen. Irgendwann heiratete er und bekam Kinder, und obwohl er sehr wohlhabend war,  studierte er nicht mehr die Thora und interessierte sich deshalb auch nicht für keine einzige  Mizwa.
 
An einem Winternachmittag, als er gerade seinen Spaziergang machte, bemerkte er eine Gruppe jüdischer Kinder beim Spielen. Alle spielten – bis auf einen Jungen, der bitterlich weinte und immer sagte: „Was soll ich Vater sagen? Was soll ich meinem Vater nur sagen?“ Herr Rosenthal fragte den Jungen, warum er denn so weine? Der Junge erklärte ihm daraufhin, dass sein Vater ihm Geld gegeben hätte, um Öl für den Chanukka-Leuchter zu kaufen. Auf dem Heimweg traf er seine Freunde, spielte mit ihnen und vergaß die Ölflasche, die beim Spielen zerbrach.
 
Herr Rosenthal fühlte mit dem Jungen und kaufte ihm eine neue Flasche Öl. Dieser Junge hatte mit dem Weinen um den Verlust seiner Flasche Öl den letzten winzigen Funken Jüdischkeit in Herrn Rosenthals Herzen entzündet. Die Worte des kleinen Jungen klangen noch lange in den Ohren von Herrn Rosenthal: „Was werde ich meinem Vater sagen?“ Herr Rosenthal dachte: „Was soll ich meinem Vater im Himmel sagen? Welche Entschuldigung werde ich Ihm sagen am Jüngsten Gericht?“
 
Herr Rosenthal ging zurück zum Ort, wo die Kinder gespielt hatten und sammelte die Scherben der zerbrochenen Flasche ein. In dieser Nacht – zur Überraschung seiner Frau und der Kinder – zündete er eine Chanukka Kerze an. In der nächsten Nacht die zweite und jeden Abend eine weitere – bis zum achten Tag. Als er das Licht der Kerzen sah, dachte er an sein Elternhaus in Amsterdam und bemerkte voller Scham, wie tief er doch gefallen war.
 
Dieses Chanukka-Fest wurde der Anfang von Herrn Rosenthals Heimkehr.

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