Feuertanz
Vom Feuerschein träume ich die ganze Nacht.
Lag Ba'omer erreichte, was den meisten anderen Feiertagen nicht vergönnt ist: Die Kinder erwarten sehnsüchtig sein Kommen und bereiten sich intensiv darauf vor, trotz der damit verbundenen knochenharten Arbeit. Fast dreißig Tage vor dem "Fest" beginnen sie bereits mit dem Heranschleppen von brennbarem Material für die Lagerfeuer an Lag Ba'omer. Im Allgemeinen sind sie nicht besonders wählerisch, was das Brennmaterial und seine Qualität angeht; sie zeigen dabei große Flexibilität und begnügen sich mit nur irgendwie Brennbarem: Balken, Zweige, Pappkartons, alte Möbel und dergleichen mehr. Manche bringt die Liebe zu diesem Fest vollkommen um den Verstand und verwirrt ihr Gefühl für die Flora des Landes Israel, indem sie in ihrer zügellosen Begeisterung Äste von Parkbäumen abbrechen und sogar ganze Bäume entwurzeln und somit den Baumbestand des Landes dezimieren. Verbotene Vergeudung!
Und wozu das alles? Um in der Nacht von Lag Ba'omer ein großes Feuer zu entfachen und alles in Flammen aufgehen zu lassen, was einen Monat lang mühsam gesammelt wurde. Die besonders Eifrigen rösten Kartoffeln und Zwiebeln auf den Holzkohlen und stimmen hie und da sogar ein Lied an. Andere wärmen sich am Feuer und glotzen in die flackernden Flammen. Müde und entkräftet kommen die Kinder und Jugendlichen spätnachts nach Hause mit Ruß an den Sohlen und Kleidern, die nach Rauch stinken.
Soweit die Kurzbeschreibung der üblichen Festlichkeiten einer Lag Ba'omer-Nacht. Es stellt sich allerdings die Frage: Wo bleiben Rabbi Akiva und seine Schüler beim festlichen Treiben der Jugendlichen? Wo bleibt Rabbi Schimon bar Jochai, der Fürst des Sohar (Hauptwerk der Kabbala)? Sie gehören doch zu den Lagerfeuern unserer Söhne und Töchter! Die Jugendlichen beteiligen Rabbi Akiva und Rabbi Schimon bar Jochai nicht an ihren Feiern! Durch ihre Abwesenheit entfernt sich das innere Feuer Lag Ba'omers, und bleiben tut bloß das oberflächliche Lager-Feuer mit dem Verbrennen von Holzmüll.
Lag Ba'omer ist eigentlich ein Feiertag des inneren Wesens des Judentums. Er wird weder in der Mischna noch im Talmud oder im Midrasch erwähnt. Eine spätere Überlieferung aus der Periode der Rischonim (vor 700-1000 Jahren) erwähnt ihn als den Tag, an dem die Schüler Rabbi Akivas aufhörten zu sterben, und darum pflegte man an diesem Tag kein Fasten abzuhalten. Der MaHaRiL (einer der größten aschkenasischen Gesetzesautoritäten gegen Ende der Rischonim) schrieb, dass man den Tag von Lag Ba'omer freudig begehe. Da die Schüler von Rabbi Akiva während 32 Tagen starben, zählt man 32 Tage und "freut sich am nächsten Tag zur Erinnerung [ans Ende der Plage]".
Eine spätere Überlieferung, diesmal aus dem Lehrhause von Rabbiner Jizchak Luria, dem größten Kabbalisten der letzten 500 Jahre, und seinem Schüler Rabbi Chajim Vital bezeichnet Lag Ba'omer als Datum des Todestages von Rabbi Schimon bar Jochai, des "Freudenfestes (Hilula) von Rabbi Schimon bar Jochai" [da er mit dem Tod sofort auf eine höhere spirituelle Stufe gelangte, nicht wie gewöhnliche Sterbliche]. Diese Überlieferung steht mit der vorhergenannten in engem Zusammenhang: Rabbi Schimon bar Jochai gehörte zu den Schülern von Rabbi Akiva! Die Bräuche des Freudenfestes entstanden in Zfat (Safed) und Meron, und von dort breiteten sie sich über die anderen Städte des heiligen Landes und schließlich die Diaspora aus. Der eigentliche Brauch bestand in der Beschäftigung in dieser Nacht mit den verborgenen Lehren des Judentums und der Kabbala.
Die Wurzeln von Lag Ba'omer reichen in die Welt der inneren Lehren des Judentums. Dieses innere Feuer bricht hervor und beleuchtet und wärmt die materielle Wirklichkeit. Daher der Brauch der Freudenfeuer. Wenn aber das innere Feuer fehlt, dann ist das ganze Freudenfeuer nichts anderes als eine Altholzentsorgung.
Im Laufe der Generationen zogen viele der Geistesgrößen Israels einige der Gebräuche von Lag Ba'omer in Zweifel, vermieden jedoch die Äußerung offener Ermahnungen, da "die Massen glauben, ein Gebot zu erfüllen und die Trennung davon würde ihnen schwerfallen, und die Juden sind heilig und möchten Gebote erfüllen" (Responsen Scho'el umeschiw). Darum darf jemand, der den gegenwärtigen nicht gerade befriedigenden Zustand verbessern will, nicht mit lautstarken Protesten gegen die vorherrschenden Bräuche vorgehen, sondern muss sie abmildern, zügeln und auf ein spirituelles Niveau bringen.
1. Zügeln. Man darf die Jugendlichen nicht dazu ermutigen, eine ganze Nacht durch Herumsitzen um einen Haufen Kohlen und ein wenig Ruß zu verbringen.
2. Spirituelles Niveau. In jedem erzieherischen Rahmen sollte so viel wie möglich über die Bedeutung dieses Tages gelehrt werden – über das Wesen von Rabbi Akiva und seinen Schülern, den Tod von 24.000 seiner Schüler zwischen Pessach und Schawuot, über das Wesen von Rabbi Schimon bar Jochai, und eine erste Begegnung mit den "Lehren des Verborgenen (Nistar)".
Viele Schüler haben nicht die geringste Ahnung von den Lehren des Verborgenen, sie kennen nicht den Unterschied zwischen Kabbala nach ihren Inhalten und Prinzipien einerseits und Segnungen, Talismanen und Wundermitteln andererseits. Alles geht bei ihnen durcheinander – Kabbala, Magie und Parapsychologie. Die Jugendlichen kennen noch nicht einmal die Namen der Autoren der Bücher über die Grundlagen der Lehren des Verborgenen und deren bedeutendste Werke. Da ist es doch eine ausgezeichnete Gelegenheit, den Schülern zu erklären, dass die "Geheimlehren" eine Wissenschaft sind, eine Forschungsmethode zum Verstehen der spirituellen und der materiellen Realität, zum Erkennen der Wege G~ttes in der Welt und wie man ihnen folgt. Sie bedeuten einen Baustein in der Halle der Tora, neben den jüdischen Gesetzen und der Gelehrsamkeit, dem Midrasch und der jüdischen Religionsphilosophie (Rav Sa'adja Gaon, Maimonides und andere). Sie bilden einen bedeutsamen Anteil an G~ttes Tora.
Der Autor ist Rabbiner von Mizpe Nevo, Leiter des Kollels der Jeschiwa Ma'ale Adumim und Mitglied bei KiMiZion.
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