Heiligtum und Schabbat
Die Aufstellung des Wüstenheiligtums. Heiligtum und Schabbat - Ziel und Mittel. Befreiung von Verdacht. Höhepunkt und Abschluss des Buches Schemot ("Exodus")
Parschat "Wajakhel" (2. Buch Moscheh 35,1 – 38,20)
1. Die Aufstellung des Wüstenheiligtums
Auch dieser Wochenabschnitt hat das Verweilen der göttlichen Präsenz in unserer Mitte zum Thema, wobei die Abschnitte "Truma-Tezawe" von der Erteilung der Gebote und "Wajakhel-Pekude" von deren praktischer Ausführung handeln. G~tt offenbart sich in der Welt durch ajin/schin/nun, die Anfangsbuchstaben von olam (Welt), schana (Jahr) und nefesch (Seele) – in der Heiligkeit von Ort, Zeit und Mensch. Der Tempel stellt das Herz der Welt dar, das Herz (Zentrum) aller Orte. Die göttliche Verbindung mit der Welt führt über das Herz, über das Wüstenheiligtum [den Vorläufer des Tempels während der Wüstenwanderung bis zur Zeit König Davids]. Es verbindet den Himmel mit der Erde, das Spirituelle mit dem Materiellen. Unser Vorvater Jakov träumte: "..und siehe, eine Leiter war gestellt auf die Erde und ihre Spitze reichte an den Himmel … und er fürchtete sich und sprach: Wie furchtbar ist dieser Ort! Dies ist nichts anderes als G~ttes Haus, und hier die Pforte des Himmels!" (Gen. 28, 12+17). Diese Vision wurde ihm durch die Besonderheit des Ortes ermöglicht, durch die spezielle Eigenschaft dieses Ortes, der einer Leiter gleicht, die Himmel und Erde verbindet. An diesem Ort steigen die Engel des Himmels, göttlich-spirituelle Kräfte, auf und ab, um eine Verbindung herzustellen und auf die materielle Welt einzuwirken, um sie zu ihrem Ursprung zu erheben. Die Existenz des Heiligtums gibt der ganzen Welt ihre Existenzberechtigung. Auf dieser über den Tempel erstellten Verbindung beruhen Wert und Bestimmung aller Existenz. In dieser Hinsicht gleicht der Bau des Wüstenheiligtums der Erschaffung der Welt, gemäß den Worten der talmudischen Weisen im Midrasch (Bemidbar raba, Kap. 12-13), die dies aus dem parallelen Gebrauch der Worte "assija" (Schaffung) und "vajechulu"-"vatechel" (vollenden) entnehmen. So wie die Welt von G~tt erschaffen wurde und der Mensch das Werk weiterführt, wird auch der Tempel sowohl von G~tt als auch von Menschen erbaut.
Aus dem Heiligtum kommt die Erleuchtung allen menschlichen Schaffens und Aufbaus der Welt. Der Dienst der Schaubrote überträgt der Weltwirtschaft ihren Segen, und der Dienst des Leuchters (Menora) überträgt dem kulturellen Geist des Menschen seinen Segen. Parallel zur Welt von Natur und Materie besteht eine spirituelle Welt, die die Existenz mit ihrem Schöpfer verbindet.
2. Heiligtum und Schabbat – Ziel und Mittel
Und siehe da, bevor wir uns ans Werk machen, werden wir erst einmal zum Nichtstun angehalten: "Und Moscheh versammelte die ganze Gemeinde der Kinder Israels und sprach zu ihnen: Dies ist es, was der Ewige zu tun befohlen hat: Sechs Tage hindurch darf Arbeit verrichtet werden, am siebenten Tage aber sei euch ein heiliger, hoher Schabbat, dem Ewigen zu Ehren; wer an ihm eine Arbeit verrichtet, soll getötet werden" (Ex. 35,1+2) – "Er schickte die Schabbatwarnung dem Befehl, die Wohnung [das Heiligtum] zu bauen, voraus, um zu sagen, dass dieser nicht den Schabbat verdränge" (Raschi). Ebenso wird mitten zwischen den Geboten zum Bau des Heiligtums eine Warnung eingeschoben: "Du aber sprich zu den Kindern Israels: Doch meine Schabbate sollt ihr beobachten.." (Ex. 31,13) – "obschon ihr eilfertig und hurtig, voll Eifer am Werk seid, darf dennoch der Schabbat nicht dadurch verdrängt werden" (Raschi).
In unserer Welt sind die unbeständigen und zeitbedingten Werte mit denen der Ewigkeit verwoben. Das Zeitliche ist mit dem Ewiglichen verbunden, die Gegenwart schöpft aus der Zukunft. Die Schabbatruhe ist eine Invasion des ewigen Lebens in unsere vergängliche Welt, der Welt des Heiligen in unsere säkulare Zeitordnung.
Die Errichtung des Heiligtums hat das gleiche Ziel: die Verknüpfung der säkularen Welt mit der des Heiligen, der Zeit mit der Ewigkeit. Der Dienst im Heiligtum hat die Aufgabe, das Weltliche zu heiligen, mit dem Lichte G~ttes das gesamte menschliche Schaffen zu durchdringen und die Welt in den Zustand des immerwährenden Schabbats und der Ruhe des ewigen Lebens zu bringen, in dem selbst materielles Schaffen in heiligem Licht erstrahlt.
Dies sollte doch eigentlich alleiniges Ziel des Schabbat in seiner höchsten, allgemeinen Stufe sein: nicht ein Schabbat neben sechs Werktagen, sondern ein Tag, vollkommen Schabbat. Das ist zwar die der Welt zugedachte große Zukunft, zu der sich die Realität am Ende der Weltgeschichte nach dem langwierigen und langsamen Prozess der göttlichen Erleuchtung aller Winkel der Existenz, aufschwingen wird. Wenn dem jedoch so ist, warum braucht dann nicht die Arbeitsruhe des jetzigen, individuellen Schabbat vor den Arbeiten des Tempelbaus zu weichen, der doch den Weg für die Zukunft, für den einen, großen Schabbattag ebnet?
Tempelbauarbeiten dürfen deshalb nicht am Schabbat ausgeführt werden, weil, wie Rabenu Bechaje erklärt [der zu den "Rischonim", unseren größten Rabbinern von vor etwa 1000 Jahren zählt], der Zweck nicht die Mittel heilige; ein heiliges Ziel lässt sich nicht mit unheiligen Mitteln erreichen. Wir unterscheiden nicht zwischen dem Ziel und dem Weg, denn auch die Mittel sind geheiligt mit der Heiligkeit des Zieles, auch das Mittel gehört zum Ziel. Man baut keine Zukunft, indem man Vergangenheit und Gegenwart mit Füßen tritt. Der Bau des Tempels bringt die Welt zwar ihrem Endziel näher, dem Erheben alles Weltlichen auf die Ebene des Heiligen, der Aufbau der Gegenwart kann jedoch nur unter Einhaltung der Schabbatruhe erfolgen, die uns gerade erst am Sinai geboten wurde, sodass der Bau des Heiligtums, trotz seiner unbestreitbaren Erhabenheit, nicht dem Schabbat zuvorkommt.
Frage: Man darf doch zur Erhaltung des zwischenmenschlichen Friedens von der Wahrheit abweichen – das heißt doch, dass das Ziel (der Frieden) das Mittel (die Lüge) heilige?
Antwort: Man muss zwischen verschiedenen Situationen unterscheiden: es kann vorkommen, dass sich ein bestimmtes Ziel ohne ein bestimmtes Mittel überhaupt nicht erreichen lässt, was einen Konflikt von Grundwerten auslöst, wie in der Frage anklingt. In diesen Fällen verfügen wir über Wege der Entscheidung entsprechend der verhältnismäßigen Wichtigkeit der zur Debatte stehenden Werte. In dem angeführten Beispiel kann das Aussprechen der Wahrheit einen Streit auslösen und damit den Frieden zerstören; in diesem Falle bestimmen wir, dass der Wert "Frieden" wichtiger ist als der Wert "Wahrheit", und daher ziehen wir es hier vor, von der Wahrheit abzuweichen und lieber den Frieden zu bewahren. Wenn sich das Ziel jedoch mit lauteren Mitteln erreichen lässt und man stattdessen krumme Wege geht, so handelt es sich dabei um einen Fall von einer "Mitzwa (Gebot), die durch eine Sünde erfüllt wird"; nicht nur, dass wir diesen Weg verneinen, vielmehr verhindert der Gebrauch unlauterer Mittel die Gebotserfüllung, und stattdessen begeht man sogar eine Sünde. Gleiches gilt in unserem Fall: den Tempel bauen wir bis Schabbat und nach Schabbat, eilen uns aber nicht zulasten der Heiligkeit des Schabbat.
Frage: Wenn dem so ist, warum verdrängt dann der Opferdienst den Schabbat? Ist dies nicht ein erstklassiges Beispiel dafür, dass das Ziel (Opfer) das Mittel (Entweihung des Schabbat) heiligt?
Antwort: Das gehört zur Definition des Opferdienstes. Das Gebot von der Opferung enthält die Regelung, dass es ohne Unterbrechung ausgeführt werden muss – "Korban Tamid" [das ständige Opfer]. Genauso das Gebot von der Eroberung des Landes Israel, das seinem Wesen nach das Nehmen menschlichen Lebens einschließt, wie das Gebot des Krieges im Allgemeinen (Verteidigungskrieg, Krieg gegen die "sieben Völker", -Amalek). In den Krieg zieht man mit der Bereitschaft, zu töten und getötet zu werden. Hier ist nicht die Rede von einem "Zweck-heiligt-die-Mittel", wie man ihn im Allgemeinen versteht, denn die Mittel stehen nicht vom Zweck getrennt, Mittel und Zweck schließen einander nicht aus; die Mittel sind vielmehr in der Zielbestimmung enthalten – Mittel und Ziel sind identisch.
Parschat "Pekude" (2. Buch Moscheh 38,21 – 40,38)
Befreiung von Verdacht
Unser Wochenabschnitt beginnt mit dem "Rechenschaftsbericht" unseres Lehrers Moscheh, der eine genaue Aufstellung der mit dem Bau des Wüstenheiligtums zusammenhängenden Einnahmen und Ausgaben enthält. Wozu ist es aber nötig, eine ganze Parascha mit den Einzelheiten dieser Rechnung zu füllen, zum Beispiel: "1775 Schekel aber verarbeitete man zu Haken für die Säulen" (Ex. 38,28), bis hin zum letzten Nagel? Was hat so ein Rechnungsabschluss in der Tora zu suchen, die uns doch den rechten Lebensweg weisen soll?!
Wir lernen hieraus ein wenig über die Bedeutung, die die Tora der Offenlegung korrekter Handlungsweise beimisst, um diese auch in den Augen von unbeteiligten Dritten als solche erscheinen zu lassen. Zwar heißt es im Gesetz, dass man "den ordentlichen Verwaltern der Gelder für die Armenhilfe nicht nachforsche" (Tur J.D. §257), und diese sind auch nicht verpflichtet, Rechenschaft abzulegen, denn die Gemeinschaft berief sie ja gerade wegen ihrer Ehrlichkeit, und unter dieser Bedingung übernahmen sie die Aufgabe – wenn kein Vertrauen besteht, sollte man so eine Person gar nicht erst mit einem öffentlichen Amt betrauen. Man kann kein geordnetes Leben unter ständiger gegenseitiger Verdächtigung und Überwachung durch schwerfällige Kontrollorgane führen. Jede Art der Arbeitsteilung muss auf gegenseitiges Vertrauen gegründet sein. So finden wir es z.B. in der Haftara zum Abschnitt Schekalim: "Und man rechnete den Männern nicht nach, in deren Hände man das Geld gab, um es an die Schaffenden zu geben, denn getreulich walteten sie" (Kö.II, 12,16). Und doch, obwohl vom Gesetz her keine Verpflichtung zu genauer Rechnungslegung besteht, "ist es gut, wenn sie es dennoch tun … wie unser Lehrer Moscheh, der über die Verwendung der Spenden zum Bau des Heiligtums Rechenschaft ablegte" (Kommentar Bejt Chadasch zum Tur, s.o.). Ist doch kein Mensch geschützt vor Verdächtigungen, sei er auch so bedeutend wie Moscheh: "Und warum führte er Buch? G~tt selbst vertraute ihm, wie es heißt: 'in meinem ganzen Hause hat er sich als treu bewährt' (Num. 12,7), und Moscheh legt Rechenschaft ab?! Vielmehr, weil er die Lästermäuler hörte, die hinter seinem Rücken redeten, wie es heißt: 'als Moscheh heraustrat … und sie sahen ihm nach', und was redeten sie? Sie beobachteten ihn von hinten und sagten einer zum andern: Sieh seinen Nacken, sieh seine Schenkel! Isst von dem Unsrigen, trinkt von dem Unsrigen … Und der andere antwortet: Dummkopf! Jemand, der über den Bau des Heiligtums waltet, über unzählige Gold- und Silberbarren – der, glaubst du, sollte nicht reich sein?! Als er dies hörte, sprach er: Bei eurem Leben, wenn die Arbeit getan ist, werde ich ihnen Rechnung legen. Als sie fertig war, sagte er ihnen: Und dies sind die Berechnungen für die Wohnung…" (Midrasch Tanchuma, Pekude 7). Um daher jedem Verdacht vorzubeugen, "besetzt man herrschaftliche Funktionen mit nicht unter zwei Personen", und auch Moscheh rief andere zum Rechnungsabschluss hinzu, wie es heißt: "durch Itamar, Sohn Aharons, des Priesters" (Ex. 38,21).
Ebenso muss sich ein unter Verdacht Stehender von der Beschuldigung befreien, so wie Channa es tat, als Eli [der Hohepriester] sie für eine Betrunkene hielt: "Nicht so, mein Herr!" (Schmu'el I, 1,15) – "Rabbi Elasar sagte: Hieraus, dass, wenn jemand seinen Nächsten einer Sache verdächtigt, die nicht an ihm, man ihm dies mitteilen muss" (Berachot 31b). Allerdings ist seitens der kritischen Betrachter von Tat und Täter das Verbot zu beachten, den Nächsten [grundlos] zu verdächtigen, er sollte vielmehr ehrbare Motive annehmen (siehe Sprüche der Väter, 1,6), und wer ehrliche Menschen verdächtigt, verdient Prügel (Schabbat 97a). Andererseits sollte der tätige Mensch stets darauf bedacht sein, dass seine Aktivitäten gar nicht erst Verdächtigungen aufkommen lassen.
Unsere Weisen verordneten einige Gesetze, die Verdächtigungen verhindern sollen, wie zum Beispiel: Der das Geld zum Kauf der Opfertiere abhebende Priester darf die Schatzkammer nicht mit aufgekrempeltem Gewande, mit Schuhen, Sandalen, Tefillin oder mit einem Amulett betreten, damit man, wenn er verarmt, nicht sage, dies, weil er sich am Tempelschatz vergriffen habe, und wenn er reich wird, nicht sage, er habe sich am Tempelschatz bereichert. Der Mensch muss nämlich seinen Mitmenschen gerecht werden, wie er G~tt gerecht werden muss, denn es heißt: "Ihr sollt vor dem Herrn und Israel rein sein" (Num. 32,22), ferner: "Finde Gunst und Wohlgefallen in den Augen G~ttes und der Menschen" (Sprüche 3,4; Schekalim 3,2).
Natürlich ist diese Respektierung der Ansicht der Anderen nicht als Unterwerfung unter gesellschaftliche Normen und die Meinung Anderer zu verstehen. Ganz sicher hat ein Mensch, der zu einer ehrbaren und guten Tat schreitet, diese auch dann auszuführen, wenn er dabei auf Gegnerschaft und Spott stößt. Genau damit beginnt der "Schulchan Aruch": "… und man geniere sich nicht vor denjenigen, die einem bei der Ausübung der göttlichen Pflichten spotten". Es ist ganz klar, dass man sich seine spirituelle Selbstständigkeit bewahren muss, um dem rechten Weg zu folgen, und sich von dem "Was werden die bloß dazu sagen" nicht ablenken lassen sollte. Vielmehr ist hier von Handlungen die Rede, die in den Augen der Betrachter wirklich als schlecht und unrecht erscheinen. Dabei ist die Vorsorge angebracht, die Art der Ausführung so zu gestalten, dass keine unangemessenen Gedanken in den Herzen anderer Menschen erweckt werden.
Unsere Aufgabe ist nämlich die Heiligung des göttlichen Namens in dieser Welt, und die gemeinschaftliche Ehrung G~ttes durch die gesamte Schöpfung. Wenn nun an einer bestimmten Handlung eines mit der Tora verbundenen Menschen der Verdacht entsteht, es geschehe hier ein Unrecht oder sonst eine abzulehnende Tat, so vermindert dies die Würde der Religion und der Tora ganz allgemein, da diese anscheinend keinen erzieherischen Einfluss auf diejenigen haben, die unter ihren Fittichen aufwachsen, und so der göttliche Name entweiht wird (siehe Joma 86a). Die Weisen fürchteten diese Entweihung so sehr, dass sie bestimmten: Alles, was die [talmudischen] Rabbiner des Anscheins wegen verboten haben, ist auch in der verborgensten Kammer verboten (Schabbat 146b), d.h., was jemandem verboten ist, weil andere ihn daraufhin einer verbotenen Handlung verdächtigen würden, darf er nicht einmal im stillen Kämmerlein tun, wo ihn niemand sehen kann. – Ist dies nicht zu streng, letztendlich gilt dieses Verbot doch nur zur Vermeidung von falschen Anschuldigungen, warum also auch, wenn ihn absolut niemand sehen kann? Weil die Furcht vor der Verächtlichmachung des Heiligen so groß ist, dass dieses Verbot auch in Bereichen Anwendung findet, wo die Verhältnisse eine entsprechende Situation weniger wahrscheinlich erscheinen lassen.
Jemand, der den Standpunkt des "Was schert mich das Gerede der Anderen, solange ich nur das Gute tue" vertritt, zeigt mit dieser Gleichgültigkeit eine Geringschätzung der himmlischen Würde im Allgemeinen und der Ausbreitung heiliger Werte in der Schöpfung im Besonderen. In bestimmter Hinsicht ist diese Geringschätzung schlimmer als die schlechte Tat an sich, denn diese stellt "nur" einen Verstoß gegen ein spezifisches Gebot dar, wohingegen die Geringschätzung der Würde der Tora durch eine Verminderung ihres Ansehens in den Augen der Leute umfassenden Charakters ist. Vergleichbar ist dies in etwa mit dem, was die Chassidim über die Vorbereitung zum Gebet sagen, die in bestimmter Hinsicht die Bedeutung des Gebetes selbst übertreffen kann, weil die Vorbereitung und die seelische Erwartungsbereitschaft zum Gebet der Einstellung zu G~tt und der Sehnsucht nach der Begegnung mit dem Herrn der Welt Ausdruck verleihen, was einen allgemeineren Wert als die Gebetshandlung selbst darstellt. Das Judentum beginnt nicht bei den Taten, und diese sind auch nicht ihr letztes Wort. Das Judentum beginnt mit Emuna, mit der Einstellung von fundamentaler innerer seelischer Zugehörigkeit zur allumfassenden Begegnung mit dem Worte G~ttes, und nur aus dieser Zugehörigkeit zur Allgemeinheit heraus besteht die Möglichkeit ihrer Offenbarung in spezifischen Handlungen.
Höhepunkt und Abschluss des Buches Schemot ("Exodus")
Wir gelangen nun ans Ende des Buches Schemot, das im Wesentlichen von der Entstehung des jüdischen Volkes handelt. Es begann mit den zwei Wochenabschnitten Schemot-Wa'era, die die Vorbereitungen zum Auszug aus Ägypten schilderten. Danach Bo-Beschalach, die den Auzug selbst zum Inhalt hatten, und dann Jitro-Mischpatim, die Übergabe der Tora in ihrer Gesamtheit und in ihren Einzelheiten: von der physischen, nationalen Freiheit stiegen wir zu unserer spirituell-kulturellen Freiheit auf. Darauf folgte als dritte Stufe in der Erhebung des Volkes in "Teruma-Tezawe" die Beigesellung der göttlichen Präsenz "dass ich wohne in ihrer Mitte" (Ex.25,8) – wir sind kein Volk im Himmel, wir leben hier auf der Erde, unser Leben drückt sich in souveräner Herrschaft aus, und in ihrem politischen Zentrum befindet sich das Heiligtum, der Tempel, der Ort der göttlichen Präsenz. Und plötzlich eine Krise: im Abschnitt "Ki-tissa" sündigt das Volk durch das Goldene Kalb. Ist dies nicht eine furchtbare Katastrophe, die den unweigerlichen Abbruch der Beziehungen zur Folge haben müsste? Unserer Weisen haben dafür folgende Worte: "Schamlos ist die Braut, die schon in der Hochzeitskammer fremdgeht" (Schabbat 88b). Der Abbruch der Beziehungen wäre unter diesen Umständen sicherlich verständlich gewesen.
Doch wir sehen, dass die Tora nicht mit der Sünde des Goldenen Kalbes endigt und dass wir die Krise überwinden. Die Realität birgt manche Krisen, und man muss wissen, mit ihnen ohne Panik fertig zu werden. Wie jener Referendar, der eine Klasse jugendlicher Krimineller übernehmen sollte. Unter schweren Vorahnungen betrat er das Klassenzimmer, wobei er über die Schwelle stolperte und der Länge nach hinfiel. Nachdem sich der Gelächtersturm etwas gelegt hatte, stand er auf und sagte ganz ruhig: Es kommt schon mal vor, dass man hinfällt – die Frage ist nur, wie man wieder auf die Beine kommt! Dies war unsere erste Lektion. Schweigen, dann plötzlich allgemeines Beifallklatschen, denn die Schüler hatten die Moral von der Geschichte mitbekommen. Auch wir waren gestolpert. Die Frage ist, wie man sich damit auseinandersetzt, durch Aufgabe oder durch Kampfgeist. Manchmal bleibt ein Talmudkommentar ohne endgültige Antwort, und doch folgt gleich anschließend ein weiterer. Wir machen weiter, trotz Schwierigkeiten und Ausrutschern. Die Tora ist nicht mit der Sünde zu Ende, nach dem Goldenen Kalb folgt der Bau des Heiligtums. Die Abschnitte "Wajakhel-Pekude" stellen die abschließende Zusammenfassung dar, und gerade sie beschreiben die tatkräftige Aktion der Errichtung des Heiligtums und das Entstehen einer speziellen Ordnung des Ruhens der göttlichen Präsenz in unserer Mitte, trotz und durch die Krise.
Parschat "Wajakhel-Pekude" (2.Buch Moscheh, Kap.35,1 – 40,38)
Freigebigkeit
Der Tempel wird auf dem Fundament der Freigebigkeit gebaut: "Von jedermann, den sein Herz dazu antreibt, sollt ihr die Spende für mich nehmen" (Ex. 25,2). So und nicht anders. Manchmal nötigt man jemanden zum Spenden, was der Sache keinen Abbruch tut, denn die Wohltätigkeit ist eine unserer nationalen Eigenschaften. An drei Zeichen lässt sich diese Nation erkennen: An der Barmherzigkeit, der Schamhaftigkeit und der Mildtätigkeit (Jewamot 79a). Da nun die Freigebigkeit zum Nationalcharakter gehört, bleibt sie Freigebigkeit, auch wenn man zu ihr zwingt. In der Halacha gibt es z.B. den Fall, wenn jemand ein Opfer versprochen hat und es dann aber nicht zum Tempel bringt. Man nötige ihn dann, es darzubringen – und trotzdem heißt es "freiwilliges Opfer" (Baba Batra 48a).
"… neben die Edlen, neben die Edlen seines Volkes" (Psalm 113,8), "die Edlen der Völker sind versammelt, das Volk des G~ttes Awrahams" (Psalm 47,10). Glücklich können wir uns schätzen, "Nediwim", Freigebige/Edle genannt zu werden. Wir sind die Aristokratie der Freigebigen, und darum begann mit dem Bau des Wüstenheiligtums ("Mischkan") die göttliche Erziehung zur Freigebigkeit, um diese in unserem Allerinnersten latent vorhandene Eigenschaft zu aktivieren. Damals offenbarte sich eine alles überwältigende Spendenfreudigkeit: "Da befahl Moscheh, dass man im Lager ausrufen lasse: Weder Mann noch Frau sollen mehr Arbeit anfertigen für die Spende des Heiligtums. So wehrte man dem Volk, weiter zu bringen. Denn das Verfertigte war genügend zum ganzen Werke, es zu machen; es war noch übrig" (Ex.36,6-7).
Auch der Bau des Tempels hat mit Freigebigkeit zu tun. Wie entdeckte König David den rechten Platz für den Tempel? Er sah zwei Brüder, die nahe beieinander wohnten, der eine kinderlos, der andere mit Kindern. Eines Nachts nun brachte der kinderlose heimlich, im Schutze der Dunkelheit, seinem Bruder von seinem Getreide auf dessen Speicher, weil er sich sagte, jener habe ja eine viel größere Familie zu ernähren. Wenig später machte sich der zweite Bruder ebenso heimlich auf den Weg, um dem anderen von seinen Erzeugnissen zu bringen; er sagte sich, jener hat keine Kinder, die ihm Freude machen können – so soll er wenigstens keine Armut leiden. Da spürte König David eine heilige Eingebung, den Platz für den Tempel vor sich zu haben. Der Ort der Freigebigkeit – das ist der Ort des Tempels.
Der Autor ist Oberrabbiner von Bet El und Leiter der Jeschiwa "Ateret Kohanim/Jeruschalajim" in der Altstadt von Jerusalem – übersetzt von R. Plaut Chefredakteur von KimiZion.
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