Lust auf Zoff?
Streit ist gut, aber er sollte nicht um seiner selbst willen geführt warden.Während der 40-jährigen Wanderung durch die Wüste kam es immer wieder zu Revolten gegen Mosche Rabbeinu.
Streit ist gut – aber er sollte nicht um seiner selbst willen geführt werden
Während der 40-jährigen Wanderung durch die Wüste kam es immer wieder zu Revolten gegen Mosche Rabbeinu. Manche waren professionell und gut durchdacht, andere eher spontan und laienhaft. Aber keine Rebellion gegen das »System Mosche« war so ausgeklügelt, raffiniert und scheinbar bedrohlich wie der Aufstand von Korach und seinen Anhängern.
Denn Korach ist der Einzige jener Verbitterten des 4. Buches der Tora, die Mosche dem Anschein nach im Namen der »Demokratie«, also im Auftrag einer souveränen Volksherrschaft, stürzen möchten. Zumindest argumentiert er so. »Sie scharten sich gegen Mosche und Aharon zusammen und sprachen zu ihnen: Das ist zu viel! Alle in der Gemeinde sind heilig, und unter ihnen ist der Ewige. Warum erhebt ihr euch über die Gemeinde des Ewigen?« (4. Buch Mose 16,3).
Nun muss man wissen, dass selbst ernannte Anführer, wenn es um Macht geht, im Namen des »Volkes«, im Namen der »Gemeinde«, im Namen »aller« viel Schaden anrichten können. Auch Korach ist ein Machtmensch, angetrieben von Neid und Selbstverliebtheit. Aber er argumentiert im Namen der Gleichheit. Und Gleichheit ist immer die Waffe der Demokratie, auch wenn sie missbraucht wird.
Gleichheit »Alle in der Gemeinde sind heilig.« Mit diesem Satz hat Korach tatsächlich recht, denn alle, die am Berg Sinai standen und G’ttes Gebote annahmen, wurden durch ebendiese auch geheiligt. Jeder Zeuge der Wunder G’ttes und der Übergabe der Tora ist Zeuge der Wahrheit G’ttes, also Beobachter der Offenbarung. Und doch hat Korach nicht recht.
Die Gleichheit vor G’tt schafft nicht Beliebigkeit und Austauschbarkeit untereinander. Derselbe G’tt, der sich allen Juden gleich offenbart hat, gab ihnen verschiedene Aufgaben und schuf eine Hierarchie. Das ist wohl der entscheidende Unterschied zwischen der religiösen Idee und dem demokratischen Prinzip.
Die Aufgaben der Menschen in der jüdischen Welt sind niemals gleich, denn im Kultus sind nicht gleiche Fähigkeiten ausschlaggebend, sondern Bestimmung. Bestimmung aber ist jenseits der bloßen menschlichen Verstehensweise von gleich und ungleich, gerecht und ungerecht.
Allerdings steht es auch nicht im Widerspruch zu diesen Attributen, aber es ist erhaben über das rein menschliche Gerechtigkeitsempfinden. Korach weiß nur zu gut, wie man an diesen sensiblen Schwachstellen im »System Mosche« reibt, um am Ende das ganze System, sprich das Judentum, zum Erliegen zu bringen. Das System Mosche sieht aber vor, dass Mosche, und nur er, die halachische Führung innehat.
Mosche war die entscheidende Instanz, die im Judentum über erlaubt und verboten entschied. Er war Vorsitzender der Richterschaft und zugleich politischer Führer. Unter seiner Führung zog Israel in Kriege, unter seiner Führung fanden Volkszählungen statt. Sein Bruder Aharon wiederum hatte die Führung des Rituellen inne. Als Hohepriester bestimmte er über Ablauf und Durchführung des Opferdienstes. Aharon war zuständig für das Heiligtum samt dem Allerheiligsten in ihm. Tora und Mikdasch, Lehre und Heiligtum, waren also fest in den Händen zweier Brüder.
Neid Was für einen Neid muss das bei denjenigen auslösen, die sich für mindestens genauso qualifiziert halten? Welches vermeintliche Gerechtigkeitsempfinden ließe sich hier im Volk aktivieren, wenn es nur gelänge, das System Mosche ordentlich zu delegitimieren? Genau das tut Korach. Er tut es im Namen des Volkes.
Aber er tut es um des Machtkampfes willen, und schlimmer noch: um des bloßen Konflikts willen. Daher erwähnt die Tora Korach immer als Abtrünnigen. »Korach und seine Gemeinde«, heißt es und nicht: die »Gemeinde Israels«. Korach erhebt zwar den Anspruch, im Namen des Volkes zu sprechen. Die Tora aber klassifiziert ihn als Sektierer, dem es um die Interessen »seiner Gemeinde« und nicht »der Gemeinde« schlechthin geht. Das ist eine Einschränkung, die ihn disqualifiziert, Führungsverantwortung zu übernehmen.
Und trotzdem ist Korach eine Gefahr für alle, für die ganze Gemeinde. Denn er ist reich, mächtig, wortstark und klug. Vor allem aber ist er ein Mensch, der Konflikte sucht – jemand, der es versteht, die Gemeinschaft zu spalten, Unruhe zu stiften. Und ist die Unruhe erst einmal da, so ist auch der Weg zur Macht da. Denn, und das weiß Korach, die wirkliche Schwäche der Gemeinde Israel ist ihr brüchiger Hausfrieden, der instabile Zusammenhalt. Darauf setzt er.
Konflikt Korachs Versuch einer Rebellion scheitert. Sein Wesen aber lebt teilweise fort, im jüdischen Volk, in den jüdischen Gemeinden, im Judentum, also in uns: der niedrige Instinkt, Gemeinschaften durch unheiligen Streit zu zerstören. Einen Konflikt nur um des Konflikts willen auszutragen, das ist das Korachsche Judentum, von dem wir uns alle fernhalten müssen.
Denn es ist ein ausdrückliches Verbot, mit dem die Tora das Korach-Kapitel schließt: »Dass man nicht sei wie Korach und sein Anhang« (4. Buch Mose 17,5). Konkret heißt das, so die einhellige Meinung all unserer Kommentatoren: Entfacht keinen sinnlosen Streit! Damit ist jener Streit gemeint, bei dem es nicht um Wahrheit, Gerechtigkeit und Moral geht, sondern nur um den Streit um des Streits willen.
Unsere Gelehrten haben dafür festgelegt: »Jeder Streit, der in reiner Absicht geführt wird, hat Erfolg; der aber nicht in reiner Absicht geführt wird, hat keinen Erfolg. Welcher Streit war in reiner Absicht? Der Streit Hillels und Schamais. In nicht reiner Absicht? Der Streit Korachs und seiner Anhänger« (Pirkej Awot 5).
Es gibt also den nützlichen, und es gibt den zerstörerischen Streit. Korachs Streit diente nicht der geistigen Bereicherung, der sinnvollen Kontroverse, oder – wenn man so will – dem jüdischen Pluralismus. Er diente der Zerstörung. Auch Korachs eigenes Ende ist zerstörerisch. Er und »seine Gemeinde« werden vom Erdboden verschluckt, verschwinden also aus der Welt. Korachs Streitsucht aber lebt bis heute. Leider.
Der Autor ist Rabbiner und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD).
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