Körper und Sexualität im Judentum

Das Judentum hat eine positive Beziehung zu Körper und Sexualität. Über Jahrhunderte hinweg wurde das Hohelied der Liebe als das theologisch bedeutendste Buch der Tora angesehen.

3 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 04.04.21

Das Judentum hat eine positive Beziehung zu Körper und Sexualität. Über Jahrhunderte hinweg wurde das Hohelied der Liebe als das theologisch bedeutendste Buch der Heiligen Schrift angesehen. Es war der Schlüsseltext der jüdischen Liebesmystik. Das „Lied der Lieder“ ist tief in der Heiligen Schrift verwurzelt. Es spricht nicht nur von der menschlichen, sondern auch von der göttlichen Liebe. Diese aktuelle Auslegung greift die neuere Diskussion auf und erschließt auf exegetischer Grundlage das theologische und spirituelle Potenzial, das in diesem hochpoetischen Werk der Weltliteratur enthalten ist. Im Vers 2 des 5. Kapitels dieses hochpoetischen Werkes heißt es: „Meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, meine vollkommen Makellose“. Hier offenbart uns der weise Salomo den Schlüssel zur lebendigen Beziehung und erklärt eindeutig, das Sex vor der Ehe ein Tabu für jeden vernünftigen Menschen sein muss.

 

Vor der Ehe steht das Paar auf der Stufe: „Meine Schwester“, was bedeutet, dass Mann und Frau sich bei ihren Treffen nur unterhalten, sie finden dabei also heraus, ob sie den selben Traum träumen, ob sie sich die selben Grundwerte teilen und vieles emotionales mehr. Bei den Treffen küssen sie sich nicht, ja sie berühren sich nicht einmal, sie Schomrim Negia, »sie hüten sich vor Berührung«. Mit diesem Verhalten wird eine spirituelle Bindung hergestellt, so lernt das Paar die sexuelle Anziehung hinten anzustellen und stattdessen vor allem die seelische Nähe zu fühlen, also nach einer verbindlichen Beziehung im Rahmen einer zukünftigen Ehe zu suchen. Auf der Stufe: „Meine Schwester“ gilt es somit herauszufinden, ob man eine Familie gründen will. Wer hier auf Abstand geht und versucht eine rein emotionale Bindung herzustellen, dem wird es gelingen eine Traumhochzeit zu erleben, was nach Salomo bedeutet, dass man so gemeinsam auf die Stufe: „Meine Freundin“ aufsteigt.

 

Hier offenbart uns der weise Salomo, dass Mann und Frau nur dann eine echte und lebendige Freundschaft in ihrer Partnerschaft erleben werden, wenn sie zuvor eine emotionale Bindung hergestellt haben. Nur wer sich seelisch nahe fühlt, kann später die wahre körperliche Begegnung erfahren. Auf Hebräisch sind sich die Substantive Pubertät (»Bagrut«) und Überwindung (»lehitbager«) sehr ähnlich. Ja, manchmal muss der Mensch seinen Willen bezwingen. Falls er für sich selbst moralische Grundsätze festgelegt hat, nach denen er sein Leben führen will, wird er verstehen und verinnerlichen, dass er seinen sexuellen Drang lieber bis zur Heirat aufschiebt.

 

Ein Paar das nun auf der Stufe: „Meine Freundin“ steht, steigt deshalb weiter nach oben auf die Stufe: „meine Taube“. Hier redet das „Lied der Lieder“ über die Treue! Es gibt viele Gesetze, die sich mit den Fragen der Partnerschaft und der Errichtung einer Familie befassen. Die Tora hat uns mit einem gesamten System von Mizwot und Gesetzen versehen, die sich um das Familienleben drehen. Hier finden wir Antworten auf die Fragen, wen man heiraten darf und wen nicht, in welchen Fällen man sich lieber scheiden lassen soll, und wie eine solche Scheidung vor sich geht. Doch über all diesen Anweisungen steht der Befehl aus den Zehn Geboten: Du sollst nicht ehebrechen!

 

Aus ebendiesem Grund hat das Judentum dem körperlichen Kontakt Grenzen auferlegt. Ein verheiratetes Paar hält sich an Einschränkungen, die der gemeinsamen Beziehung förderlich sind und der Gründung einer Familie dienen. Das Verbot, Ehebruch zu begehen, bedeutet auch, dass jeder außereheliche Kontakt völlig unnötig ist. Der Mann verpflichtet sich übrigens unter der Chuppa in der Ketuba, dem Ehevertrag, seine Frau sexuell zu befriedigen. Damit soll vermieden werden, dass einer der Ehepartner einen berechtigten Grund zur Scheidung hat – mögen sie davor bewahrt bleiben!

 

Um das alles so unter einem Hut zu bringen sprach der weise Salomo von: „meine Taube“. Denn wenn eine Taube sich mit einem Täuberich paart, dann bleiben sie sich auf ewig treu, sie werden sich nie einen anderen Paarungspartner suchen. Selbst wenn einer der beiden stirbt, sie bleiben sich auf ewig treu. Diesen Fakt erleben wir in der Tierwelt so nur bei den Tauben. Deshalb sagte der weise Salomo, dass ein Paar, welches zunächst auf Abstand ging, sich also seelisch nah fühlen wollte und aus diesem Aspekt heraus geheiratet hat, sie dadurch auch wahre Freunde wurden und nun auch auf ewig die wundervolle Treue innerhalb der Ehe genießen werden. Somit ist nun auch klar, weshalb die vierte Stufe: „meine vollkommen Makellose“ ist! Denn ein Paar das in echter Freundschaft und absoluter Treue lebt, die erfreuen sich an einer vollkommen makellosen Ehe.  

Ich hoffe, dass diese Überlegungen uns allen, aber vor allem Jugendlichen helfen, über ihre Sexualität nachzudenken und ihre Praxis auf den Tag zu verlegen, an dem sie einer Lebenspartnerin oder einem Lebenspartner versprechen, eine Familie zu gründen, für ein lange währendes, gemeinsames Leben. 

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