Krone der Schöpfung
In dieser Parascha befindet sich das Volk Israel immer noch in der Wüste auf dem Weg von Ägypten nach Kanaan.
Der Mensch unterscheidet sich vom Tier, indem er seine Triebe beherrscht
In dieser Parascha befindet sich das Volk Israel immer noch in der Wüste auf dem Weg von Ägypten nach Kanaan. Das große Wunder vom Auszug aus Mizrajim und der Empfang der Tora liegt bereits hinter ihnen. Jeder Stamm des Volkes kennt seinen Platz und seine Funktion im Camp, in dessen Zentrum das Stiftszelt steht.
Das Volk Israel ist abgesichert, es wird von G’tt mit Man ernährt. Doch plötzlich beklagen sich die Menschen. Sie fühlen sich nicht wohl. Sie wollen mehr. Was ihnen genau fehlt, können sie nicht sagen, vielleicht ist es ihnen auch noch nicht deutlich genug. Die tägliche Versorgung durch Speisen und Getränke ist gegeben, und sie haben Unterkunft. Die Unzufriedenheit ist offenbar seelischen Ursprungs.
DRANG
In zwei Versen wird dieser Drang nach mehr konkreter: »Das zusammengelaufene Gesindel in ihrer Mitte bekam allerlei Gelüste. Da fingen auch die Kinder Israels wieder an, zu weinen und sprachen: Wer gibt uns Fleisch zu essen? Wir denken noch an die Fische, die wir in Ägypten umsonst essen konnten, die Gurken (oder Zucchini), die Melonen, den Lauch, die Zwiebeln und den Knoblauch. Jetzt aber ist unsere Seele ausgetrocknet. Nichts ist da, nur auf das Man blicken unsere Augen« (4. Buch Moses 11, 4-5).
STROH
Zu den Worten in Vers 5: »die wir umsonst in Ägypten gegessen haben«, sagt Raschi: »Wenn du sagen solltest, die Ägypter gaben ihnen Fische umsonst (dies steht bereits im 2. Buch Moses 5,18), Stroh soll euch nicht gegeben werden: Wenn sie ihnen kein Stroh umsonst gaben, haben sie ihnen wohl Fische umsonst gegeben? Was bedeutet umsonst: Frei von Geboten.«
Umsonst heißt hier nicht gratis, ohne Bezahlung, sondern es heißt frei von Pflichten. Das heißt, das Volk würde ein Sklavenleben ohne Pflichten und Gesetze einem Leben mit den Gesetzen der Tora und Geschenken und Unterstützung des Himmels vorziehen wollen? Unsere Weisen betrachten diese Unzufriedenheit und kommen zu dem Entschluss, dass sie nicht am Mangel des Fleisches liegt, sondern eine ablehnende Haltung gegenüber den von ihnen auferlegten Mizwot war.
Ähnlich ist auch Vers 10 zu verstehen: »Mosche hörte, wie das Volk familienweise an jedem Zelteingang weinte.« Dazu sagt Raschi, dass das Wort familienweise ausschlaggebend ist. Sie weinten wegen Angelegenheiten, die sich auf Verbote innerhalb der Familie, der Verwandtschaft bezogen: verbotene Beziehungen innerhalb der Familie. Hier auch wieder ein Hinweis auf die unzufriedene Haltung gegenüber den Gesetzen. Wir lernen daraus, dass das Gesagte und Gedachte der Menschen manchmal voneinander abweicht. Hinter dem Gesagten verbergen sich noch weitere Informationen.
FANTASIEWELT
Gleichzeitig lehrt uns diese Parascha, dass Triebe den Menschen dazu veranlassen, Tatsachen zu leugnen oder zu verbergen, um eine eigene Fantasiewelt zu erschaffen, die mit der Realität nichts zu tun hat.
G’ttes Antwort auf diese Äußerungen und das Verhalten des Volkes war: »Nicht einen Tag werdet ihr zu essen haben, auch nicht zwei Tage, nicht fünf, nicht zehn, nicht 20 Tage, sondern einen vollen Monat, bis es euch zum Halse herauswächst und euch zum Ekel wird, weil ihr den Ewigen, der in eurer Mitte ist, verschmäht und vor ihm geweint habt und gesprochen: Warum sind wir denn aus Ägypten gezogen?« (4. Buch Moses 11, 19-20).
Weiter lesen wir: »Noch war das Fleisch zwischen ihren Zähnen, noch war es nicht verzehrt, erbrannte der Zorn des Ewigen über das Volk mit einem sehr schweren Schlage« (11,33). Die Erwähnung des Fleisches an dieser Stelle haben wir anderswo in Verbindung mit der Pflicht der Kaschrut, der Einhaltung der Speisegesetze und der Heiligung.
Dazu lesen wir im 3. Buch Moses 11, 43-44: »Macht euch nicht selbst zugrunde durch alles, was da kriecht und fliegt. Sorgt, dass ihr nicht durch sie unrein werdet. Ihr würdet durch sie unrein werden, denn ich bin der Ewige, euer G’tt. Ihr sollt euch heilig halten, damit ihr heilig seid, denn ich bin heilig. Ihr sollt euch nicht durch all die kleinen Tiere, die sich auf der Erde regen, unrein machen«.
SPEISEGESETZE
Dem entnehmen wir, dass die Kaschrut kein Hygienegesetz ist, sondern hier geht es um Heiligung. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier dadurch, dass er die Fähigkeit besitzt, seine Triebe zu beherrschen, was dem Tier nicht gegeben ist. Ist der Mensch in der Lage, die in der Tora stehenden Pflichten, besonders die Speisegesetze, einzuhalten, hebt er sich vom Tier ab, beherrscht seine Triebe und heiligt sich dadurch.
Aus dieser Parascha, die uns vom Drang des Fleischessens berichtet, lernen wir, dass die Kinder Israels zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage waren, ihre Triebe in Bezug auf Kaschrut und den Umgang innerhalb der Familien und Verwandtschaft unter Kontrolle zu halten.
Sie hatten das Ziel, heilig zu sein, noch nicht erfasst und auch noch nicht erreicht. Gerade deshalb musste G’tt sie strafen, um sie wieder auf den Weg zur Heiligkeit zu bringen. Bis heute existieren diese Gesetze der Tora für uns Juden. Sie geben uns die Möglichkeit, unsere Triebe zu beherrschen und uns somit zu heiligen.
Der Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD). Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.
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