Warten genügt nicht
Was wir tun können, um die Ankunft des Erlösers aktiv zu befördern ...
Was wir tun können, um die Ankunft des Erlösers aktiv zu befördern.
Tora-Lernen, das Einhalten der Gebote und Kinderreichtum könnten messianische Zeiten näherbringen.
Ein jüdischer Witz, der in einem kleinen ukrainischen Schtetl spielt, erzählt von einem Ehemann, der am Schabbat aus der Synagoge kommt. »Worüber hat der Rebbe geredet?«, fragt ihn seine Frau. »Über den Maschiach«, antwortet der Mann.
»Wer ist dieser Maschiach?«, fragt die Frau. »Weiß ich nicht. Aber der Rebbe sagt, er kommt bald und bringt uns nach Israel. Dann können uns die Kosaken nichts mehr antun«, antwortet der Mann. Die Frau überlegt ein wenig und sagt dann: »Der Maschiach soll kommen und die Kosaken nach Israel holen. Dann werden wir hier schön in Ruhe leben!«
EPOCHEN
Bis heute fragen sich viele Juden: Wer genau ist dieser Maschiach, der uns (und möglicherweise auch die Kosaken) erlösen soll? Wird er eine messianische Epoche einleiten? Oder vielleicht umgekehrt, wird eine messianische Epoche den Maschiach bringen? Könnte gar eine Regierung beziehungsweise ein einzelner Politiker messianischen Prophezeiungen gerecht werden?
In vielen Siddurim (Gebetbüchern) finden wir nach dem Ende des täglichen Morgengebets verschiedene Zusätze. Meist sind es »Schischa Zichronot« – also sechs Dinge, an die wir uns jeden Tag erinnern sollen.
Oft werden an dieser Stelle aber auch die 13 Glaubensgrundsätze von Moses Maimonides, des Rambam (1135–1204), wiedergegeben. Der zwölfte Grundsatz (wie etwa im Siddur Schma Kolenu des Morascha-Verlags) lautet folgendermaßen: »Ich glaube mit voller Überzeugung an das Kommen des ›Maschiach‹; obwohl er säumt, warte ich trotzdem jeden Tag, dass er komme.«
Doch konkret können viele Juden mit dem Glauben an den Messias nur wenig anfangen. Und wenn wir die Tora, die fünf Bücher Mose, lesen, finden wir den Messias darin mit keinem Wort erwähnt. Jedoch lehren unsere Weisen, dass es in der Tora gleich mehrere indirekte Hinweise auf den Erlöser gibt.
Den wohl klarsten Hinweis finden wir im Wochenabschnitt »Balak«, wo der böse Zauberer Bileam das jüdische Volk verfluchen will, jedoch von G’tt gezwungen wird, es zu segnen. Dabei kommen aus Bileams Mund beeindruckende Prophezeiungen wie zum Beispiel diese (4. Buch Mose 24,17): »Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich schaue ihn, aber nicht von nahe. Es wird ein Stern aus Jakow aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen.«
KÖNIG DAVID
Der große Kommentator Raschi sagt zu dieser Stelle: »›Ich sehe ihn‹ – das heißt, ich sehe den Ruhm Jakows und seine Größe, doch ist es nicht jetzt, sondern später. ›Ein Stern wird aufgehen‹ – wie der Targum sagt: Ein König ersteht.« Damit ist laut der Überlieferung König David gemeint.
Ein anderer Vers (24,19) erwähnt ebenfalls den Maschiach, der ein Nachkomme König Davids sein soll: »Aus Jakow wird der Herrscher kommen und umbringen, was übrig ist von den Städten.« Raschi sagt dazu: »Und noch ein anderer Herrscher kommt von Jakow« – damit ist unser Erlöser gemeint.
Im Talmud wird viel über den Maschiach diskutiert. Der Rambam fasst diese Diskussionen in seinem halachischen Werk Mischne Tora zusammen (Gesetze der Könige und der Kriege, 11,1): »In der Zukunft wird der König Maschiach aufstehen, er stellt die Dynastie Davids und dessen ursprüngliche Souveränität wieder her. Er wird den Tempel erbauen und die verstreuten Juden sammeln. In diesen Tagen wird die Einhaltung aller Gesetze vollständig wiederhergestellt: Opfer werden gebracht und die Schabbat- und Jubiläumsjahre gemäß all ihren Einzelheiten, wie sie in der Tora beschrieben sind, eingehalten.«
Unsere Weisen sind sich also sicher, dass der Erlöser ein Jude sein wird, der von König David abstammt. Der König, der Maschiach sein soll, muss alles erfüllen, was ihm die Halacha vorschreibt: den Tempel wieder auf seinem ursprünglichen Platz errichten und alle Juden im Heiligen Land versammeln.
MONARCHIE
Wenn ihm das gelingt, können wir sicher sein, dass dieser König tatsächlich der Maschiach ist, wie es der Rambam in Halacha 4 festhält. Der Staat Israel wird also zum Königreich mit absoluter Monarchie. Zur Person des Maschiach gibt es sowohl im Tanach, der Hebräischen Bibel, als auch in Talmud und Midrasch viele Hinweise. Auch wenn wir diese Person nicht erraten können, wird es auf jeden Fall ein sehr weiser und heiliger Mensch sein.
Unsere Weisen sagen, dass es in jeder Generation 36 verborgene Zaddikim (Nistarim) gibt – und dass einer dieser Nistarim der potenzielle Maschiach ist. Wenn die Zeit dafür reif ist, kommt der Prophet Elijahu und offenbart uns diese Person.
Doch wann kommt diese Zeit? Auch dazu gibt es viele, oft widersprüchliche Meinungen. Einen interessanten Vers diesbezüglich finden wir beim Propheten Jeschajahu (60,22): »Ich, der Herr, werde das zu seiner Zeit eilends ausrichten.«
Somit stellt sich die Frage: Wenn der Maschiach ohnehin »zu seiner Zeit« kommen soll, warum dann »eilends ausrichten«? Im Talmud (Sanhedrin 98a) wird dieser Widerspruch so erklärt: »Rabbi Jehoschua ben Levi sagte: Wenn die Juden es verdienen, dann ›eilends ausrichten‹, wenn nicht, dann kommt der Maschiach ›zu seiner Zeit‹.«
Daraus können wir ableiten, dass, obwohl es eine von G’tt festgelegte Zeit ist, wir die Erlösung »verdienen« und herbeiführen können. Dafür gibt es viele Möglichkeiten: das Tora-Lernen, Einhalten von Geboten, gute Taten und Wohltätigkeit.
KINDERREICHTUM
Eine weitere Option finden wir im Traktat Jebamot (62a): »Ben David kommt nicht, bis alle Seelen in diese Welt herabsteigen.« Viele Kinder zu haben, ist also ein Mittel, um messianische Zeiten bald erleben zu dürfen.
Auch das Gebet ist unser mächtiges Mittel, deshalb erwähnen wir dreimal täglich in der Amida, dem Achtzehnbittengebet: »Den Spross Davids, deines Dieners, lass bald emporsprießen.« Unsere Weisen sagen, dass, wenn man nach 120 Jahren in dieser Welt zum Gericht vor G’tt kommt, unter anderem Folgendes gefragt wird: »Hast du auf das Kommen des Maschiach gewartet?«
Daraus entnehmen wir, dass auch dann, wenn ein Mensch den Maschiach in seinem Leben nicht verdient hat, ihm allein schon das Warten zum Positiven angerechnet wird. Denn damit zeigt der Mensch, dass er sich mit der jetzigen Situation nicht abgefunden hat – und dass er eine bessere, gerechtere und schönere Welt wünscht.
Nun, nach all diesen Erläuterungen, können wir laut sagen: »Ich glaube aus voller Überzeugung an das Kommen des Maschiach. Und obwohl er säumt, warte ich dennoch jeden Tag darauf, dass er kommen möge!«
Der Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.
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