Halachische Diskurse und Lebensfragen
Was kann ein Mensch für das Wohlergehen seines Gehirns tun? Der Referent betonte die Wichtigkeit von Atemübungen.
In Israel lassen sich jedes Jahr mehr als 10 000 jüdische Paare scheiden. Sie sind auf die vom Staat eingerichteten Rabbinatsgerichte angewiesen. Wenn man der Statistik glauben darf, so haben die 107 Richter (hebr.: Dajanim), die heute in diesen Rabbinatsgerichten wirken, mit mehr als 100 000 Menschen pro Jahr zu tun! Die Leistungen der gelehrten Dajanim werden oft nicht richtig eingeschätzt. Ein erfolgreicher Spielfilm hat leider ein Zerrbild ihrer Tätigkeit gezeichnet.
Im Jahr 2017 fanden zwei Fortbildungsveranstaltungen für die israelischen Dajanim statt, an denen beide Oberrabbiner teilnahmen. Die Vorträge, die bei diesen Konferenzen gehalten wurden, liegen jetzt in einem umfangreichen Tagungsband vor. Wer wissen möchte, wie die Dajanim denken und arbeiten, kann aus der hier vorzustellenden Publikation wichtige Einsichten gewinnen.
Es ist nicht erstaunlich, dass in den meisten Referaten religionsgesetzliche Fragen erörtert wurden. Dajanim urteilen nach den Gesetzen der Tora, und die Klärung halachischer Probleme ist für sie natürlich von größter Bedeutung. Aus der Fülle der behandelten Themen seien an dieser Stelle nur wenige Beispiele genannt.
Die im Staat Israel erlaubte Leihmutterschaft wurde aus halachischer Sicht betrachtet. Auf die Frage, welche Frau als die Mutter anzusehen ist – diejenige, von der das Ei stammt, oder diejenige, die das Kind ausgetragen und geboren hat -, haben anerkannte Autoritäten verschiedene Antworten gegeben. Es sind Dezisoren bekannt, die ihre Ansicht nach einiger Zeit änderten. Die meisten Surrogatmütter in Israel sind heute verheiratete Frauen; nach Aussagen von Psychologen zeigte sich, dass die Kinder dieser Mütter ein Problem damit hatten, dass ihre Mutter ein Baby weggegeben hat. Erwähnt wurden Fälle, in denen ein Ehemann seine Frau zur Leihmutterschaft „zwang“, um eine Hypothek tilgen zu können. Die Versuchung ist deshalb so groß, weil eine Leihmutter in Israel ca. 40 000,- € bekommt.
Durch die Medien wurden etliche Fälle bekannt, in denen ein Mann sich weigert, seiner Frau eine Scheidungsurkunde zu geben. Auf der Tagung der Dajanim hat man besprochen, welche Druckmaßnahmen gegen solche Übeltäter zulässig sind und welche nicht. Weniger bekannt sind die Fälle, wo ein Mann „angekettet“ ist. Ein Referat behandelte die Frage, unter welchen Umständen ein Rabbinatsgericht einem Mann erlauben kann, eine zweite Frau zu ehelichen, was im Regelfall bekanntlich verboten ist. In Israel gibt es eine Organisation, die offen für die Praxis der Polygamie wirbt. Diese Vereinigung behauptet, der angesehene Halachist Rabbiner Ovadia Yossef habe die Polygamie gebilligt; sein Sohn, Oberrabbiner Yizhak Yossef, bestreitet die Richtigkeit dieser Behauptung mit großer Entschiedenheit.
Auf beiden Tagungen der Dajanim hat man nicht ausschließlich über religionsgesetzliche Fragen gesprochen. Die Organisatoren der Veranstaltungen im Jahre 2017 haben auch solche Referenten eingeladen, die Fragen der Lebensführung diskutiert haben. Man kann sagen, dass es sich um Beiträge zur Allgemeinbildung handelt. Daher kann man das vielseitige Buch auch Leuten empfehlen, die gewöhnlich halachische Werke nicht in die Hand nehmen.
Ein Familienarzt diskutierte Fragen der Gesundheitsvorsorge: Was kann ein Mensch für das Wohlergehen seines Gehirns tun? Der Referent betonte die Wichtigkeit von Atemübungen. Auch machte er darauf aufmerksam, dass das richtige Trinken ebenfalls unsere Beachtung verdient. Heutzutage weiss jeder, wie wichtig eine gesunde Ernährung ist. Aber die Details, auf die es im Alltag ankommt, sind nicht so bekannt. So hat es sich in manchen Kreisen noch nicht herumgesprochen, dass man lieber Fisch als Fleisch essen sollte. Und wer weiß, welche Fischart aus ernährungswissenschaftlicher Sicht empfehlenswert ist und welche weniger.
Über die Alternative Medizin, die auch als Komplementärmedizin bezeichnet wird, referierte der Leiter eines großen Jerusalemer Krankenhauses. Er diskutierte das Für und Wider der alternativen Methoden, die beim Publikum recht beliebt sind. Es ist bemerkenswert, dass der Schulmediziner für ein Ernstnehmen der Alternativ-Medizin plädierte.
Über verschiedene Streit-Stile und über die Möglichkeit der Streitschlichtung hielt ein Psychotherapeut einen Vortrag. Die Arbeit eines Vermittlers in Streitfällen ist keineswegs leicht. Anhand mehrerer Beispiel wurde ein erfolgversprechendes Behandlungskonzept verdeutlicht.
Vom Problem der Alkohol- und Drogensucht war auf der Tagung der Dajanim ebenfalls die Rede. Der Leiter einer Therapie-Institution skizzierte mehrere Fälle, die ohne professionelle Hilfe nie von der Sucht -Krankheit losgekommen wären.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass im Schlussteil des vorliegenden Bandes die Protokolle der allerersten Tagungen der israelischen Dajanim (1952 und 1953) abgedruckt sind. Der Vergleich zwischen der damaligen und der heutigen Situation ist aufschlussreich. Zweifellos sind enorme Fortschritte gemacht worden! Dass immer noch einige Punkte zu verbessern sind, verschweigt die Neuerscheinung nicht.
Da der ansprechend aufgemachte Tagungsband, aus dem jeder viel lernen kann, nicht im Buchhandel vertrieben wird, ist die Anschrift der Herausgeber unten angegeben, an die sich Interessenten wenden können.
Der Autor ist Psychologe und hat an der Universität Köln gelehrt.
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Rabbiner Shimon Jacoby und Rabbiner Jechiel Chaim Freimann (Herausgeber), Keness HaDajanim 5777 (hebr.), Jerusalem 2018. 752 Seiten, Preis: 40,- €.
Adresse der Herausgeber: Hanhalat Bate HaDin HaRabbaniim, Rechov Kanfe Nesharim 22, Jerusalem 91342, Israel.
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