Richtiges Zuhören

Ein Mann, der die andauernden Streitigkeiten mit seiner Frau nicht länger ertragen konnte, bat mich um Rat...

5 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 17.03.21

Francois de la Rochefoucauld sagte einmal: Eine der Gründe, warum man in der Konversation so selten verständige und angenehme Partner findet, ist, dass es kaum jemanden gibt, der nicht lieber an das dächte, was er sagen will, als genau auf das zu antworten, was man zu ihm sagt. Die Feinsten und Gefälligsten begnügen sich damit, während man es ihrem Auge und Ausdruck ansehen kann, dass ihre Gedanken nicht bei unserer Rede sind, sondern sich eifrig mit dem beschäftigen, was sie selbst sagen wollen. Sie sollten bedenken, dass es ein schlechtes Mittel ist, anderen zu gefallen oder sie zu gewinnen, wenn man sich selbst so sehr zu gefallen sucht, und dass die Kunst, gut zuzuhören und treffend zu antworten, die allerhöchste ist, die man im Gespräch zeigen kann.

Ein Mann, der die andauernden Streitigkeiten mit seiner Frau nicht länger ertragen konnte, bat mich um Rat: „Kaum macht einer von uns den Mund auf, unterbricht ihn der andere schon. Ein Wort, dann haben wir gleich wieder Streit miteinander, und jeder von uns ist mürrisch und schlecht gelaunt“, sagte der Mann und meinte dann auch noch: „Dabei lieben wir uns doch, aber so kann es nicht weitergehen. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll.“

„Du musst lernen, deiner Frau zuzuhören“, sagte ich ihm. „Und wenn du sicher bist, dass du diese Regel beherrscht, dann komm wieder zu mir.“ …

Nach 3 Monaten sprach der Mann wieder mit mir und erklärte, er habe jetzt gelernt, auf jedes Wort, das seine Frau sagt, zu hören. 

„Gut“, sagte ich mit einem Lächeln. „Wenn du in einer glücklichen Ehe leben willst, musst du jetzt noch lernen, auf jedes Wort zu hören, das deine Frau nicht sagt.“ 
 
Beispiel:

„Spaß“ = na warte, dass wirst du noch zurückbekommen
War bloß ein Scherz “ = da ist etwas Wahres dran
„Egal“ = das hat mich doch sehr berührt
„Lass mich alleine“ = bitte helfe mir
„Schwamm drüber, du hast mich damit nicht beleidigt“ = du hast mir damit sehr Weh getan
 
Miteinander reden ist schwierig. Nicht nur, weil wir Mühe haben, das zu sagen, was wir meinen, sondern auch deshalb, weil wir eben nur miteinander reden und nicht aufeinander hören. Das Hören wird viel zu oft vernachlässigt. Es gibt einen Unterschied zwischen Hören, Hinhören und Zuhören.
 
Hören
 
Hören ohne Hinhören heißt zum Beispiel, die ganze Zeit mit sich selber beschäftigt zu sein, nur sporadisch aufzumerken und einem Gespräch nur deshalb zu folgen, um selbst reden zu können.

Die Aufmerksamkeit ist noch nicht unbedingt auf den Gesprächsinhalt, sondern auch auf die eigene Beschäftigung, die eigenen Gedanken und die Gelegenheit, zu Wort kommen zu können, gerichtet.
 
Hinhören
 
Hinhören ohne Zuhören heißt: Aufnehmen, was die andere Person sagt, ohne sich zu bemühen herauszufinden, was der andere meint oder sagen will.
 
Man ist gefühlsmäßig noch unbeteiligt, distanziert und abwartend. Die oder der Sprechende meint fälschlicherweise, ihr oder ihm würde ernsthaft zugehört.
 
Zuhören
 
Zuhören heißt, sich in den Partner hineinzuversetzen, ihm volle Aufmerksamkeit zu schenken und dabei nicht nur auf den Inhalt, sonder auch auf Zwischentöne zu achten.
 
Durch Haltung und Reaktion wird dem Gesprächspartner mitgeteilt, dass es im Moment nichts Wichtigeres gibt als sie oder ihn.

Richtiges Zuhören heißt also nicht, sich passiv zu verhalten und die Gesprächspartnerin oder den Gesprächspartner reden zu lassen. Richtiges Zuhören heißt: Vom Hören über das Hinhören zum aktiven Zuhören zu kommen.
Aktives Zuhören

In der Psychotherapie wird die Methode des aktiven Zuhörens schon lange angewendet. Das aktive Zuhören hat einen festen Platz in der Gesprächstherapie und auch Kommunikationsfachleute schulen in ihren Kursen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im aktiven Zuhören. Kursabgänger bestätigen, dass für eine konstruktive Gesprächsführung das aufmerksame Zuhören ebenso wichtig ist wie das klare und verständliche Reden.
 
Nachfolgend die wichtigsten Erkenntnisse aus einem dreitägigen Seminar "Fragen statt Sagen – als Baustein des aktiven Zuhörens", die von Teilnehmenden am Schluss zusammengestellt worden ist:  Wir erkannten dass zuhören, "gnadenlos wertschätzen" heißt (weder rechtfertigen noch schönreden).

Aussagen können wir auch umdeuten (positiv rahmen, reframing (Prinzip aus dem NLP) Meinungen respektieren, heißt nicht Meinungen akzeptieren. Nach dem Harvard Prinzip: "Verstehen, will nie heißen, auch einverstanden zu sein".

Humorvoll sein – ja (ist Weichmacher, kommt von innen) – aber nicht auf Kosten des Gesprächspartners.

Versuchen wir nicht zwischen den Zeilen zu lesen, denn da steht meist nichts Wichtiges drin. Besser: "ins Wort hineingehen" oder "Aussagen wörtlich nehmen". Beispiel: "Nichts hat mir geholfen!" – Antwort: "Wie genau Nichts?

Die Antworten ernst nehmen. Die Antwort enthält meist den richtigen Ansatz zur Fortsetzung des Gespräches.

Aktiv zuhören, heißt immer, sich Zeit nehmen, beharrlich weiter zu fragen – aber nur aus echtem Interesse und anteilnehmender Neugier heraus.

Nichtwissen ist hilfsreicher, als durch Kompetenz zum "Besserwisser" zu werden.
 
Was ist "aktives Zuhören"?

"Aktives Zuhören" bedeutet:

  • zu versuchen, sich in den Gesprächspartner einzufühlen
  • beim Gespräch mitzudenken,
  • dem Gesprächspartner Aufmerksamkeit und Interesse entgegenzubringen.

Durch verbale und nonverbale Aufmerksamkeitsreaktionen wird dem Partner gezeigt, dass man aufmerksam ist, dass man versucht, zu verstehen und dass man Interesse und Anteilnahme hat. 
Die vier Stufen des aktiven Zuhörens sind: die Wahrnehmung, das Verstehen, die Wertung und die Reaktion:

Wahrnehmung

Wir nehmen selektiv wahr. Das ist auch sinnvoll, denn der Mensch wäre gar nicht fähig, alle Informationen, Reize, Eindrücke aufzunehmen.
 
Verstehen

Beim Verstehen wird das Gehörte aufgefasst und begriffen. Missverständnisse entstehen häufig, wenn Sender und Empfänger einzelne Begriffe unterschiedlich definieren.
 
Bewerten

Wir tendieren dazu, zu bewerten was wir gehört und verstanden haben. Feedback kann helfen, Missverständnissen vorzubeugen.

 
Reaktion

Verbale und nonverbale Reaktionen, wie Kopfnicken, Blickkontakt etc. sind Techniken, die aktives Zuhören erleichtern. Aktives Zuhören ist lernbar. Es heißt nicht, dass Aussagen einfach wiederholt werden müssten. Das "Spiegeln" von Aussagen ("Habe ich richtig verstanden, dass … ?") hilft aber zu zeigen, dass die Aussage registriert wurde. Wer sieht, dass das Gehörte zusammengefasst werden kann, fühlt sich verstanden. So kommt es bei Gesprächen letztlich zum Zeitgewinn.
 
Aktives Zuhören: Techniken
 
1.       Paraphrasieren

Die Aussage wird mit eigenen Worten wiederholt.

2.       Verbalisieren

Die Gefühle, die Emotionen des Gegenübers werden gespiegelt z.B.: "Das hat sie maßlos geärgert."

3.       Nachfragen

"Nachdem sie dies gesagt hatten, reagierte Hans Meier nicht?"

4.       Zusammenfassen

So wie in einem Zeitungsartikel unter dem Titel der Inhalt in geraffter Form erscheint, kann bei Gesprächen das Gehörte mit wenigen Worten zusammengefasst werden.

5.       Klären

Unklares klären: "Sie haben gesagt, sie hätten sofort reagiert. War das noch am gleichen Tag?"

6.       Weiterführen

"Dann hat der Vorgesetzte das Gespräch gesucht. Wie hat er sich dann verhalten?"

7.       Abwägen

"War die Belästigung schlimmer als "das Nicht-Ernstgenommen-Sein"?

 

FazitZuhören heißt Anteilnehmen im wörtlichen Sinn: Ich nehme die Teile, die mitgeteilt worden sind, an. Das Anteilnehmen hat aber vor allem mit echtem Interesse zu tun. Zuhören lässt sich optimieren. Wer jedoch sich und seine Aussage wichtiger nimmt als die Aussagen der Mitmenschen, wird trotz Kenntnis von Zuhörtechniken noch kein guter Zuhörer.

 

 

David Kraus (M.A in Psychologie und Integrativer Psychotherapie | Dipl. Paar- und Familientherapeut | Dipl. Pädagogischer Elternberater) ist Oberrabbiner der Jüdisch-Chassidischen Kultusgemeinde Breslev Deutschland / Israel mit Sitz in Hanau. David Kraus finden Sie bei Facebook.

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