Der rote Geduldsfaden

Sich in der Geduld zu üben, ist eine wirklich herausfordernde Probe in unserem Leben - erst recht in solch einer schnelllebig gewordenen Zeit.

3 Min.

Andrea Jockisch

gepostet auf 04.04.21

Wenn Geduld auf die Probe gestellt wird

 

Der Bus hat Verspätung. Im Supermarkt eine unendlich scheinende Warteschlange an der Kasse. Der Computer reagiert heute lahm. Stundenlanges Warten in der Arztpraxis. Wer kennt das schon nicht? Der Kragen ist am Platzen, der meterlange rote Geduldsfaden am Reißen. Ständig nervöses Schauen auf die Smartphoneuhr: "Wann geht es denn endlich mal voran?! Der nächste Termin wartet schon."

In der heutigen beschleunigten Zeit ist es vielen Menschen zur Gewohnheit geworden, dass sofort alles funktionieren muss, was sie sich vornehmen.

 

Wir haben uns daran gewöhnt, kleine Ziele ohne große Anstrengung sofort zu erreichen. Erwartungen werden dadurch von Zeit zu Zeit höher geschraubt, die Wartezeit niedrig gehalten. Sofortlieferservice, Prime-Mitgliedschaft mit Schnellliefer-Vorteilen. Was sich der Mensch blitzschnell in den Kopf setzt, will er auch sofort haben. Und wehe, die Ware kommt einen Tag zu spät, dann gehen sie auf die Barrikaden.

 

Vor paar Tagen war ich mit meinem Privatrezept in der Apotheke. Ich konnte es mir aussuchen: gehe ich in die Apotheke gleich um die Ecke und schon morgen wäre das Medikament da, oder gehe ich in die Apotheke im Nebenort und hole mir dort zusätzlich Sammeltaler ab, die ich gegen ein beliebiges Produkt aus der Apotheke oder beim Bäcker einlösen kann. Also entschied ich mich, das Medikament in der Apotheke im Nebenort zu bestellen. Da erfuhr ich aber, dass das homöopathische Medikament bei einer Firma angefordert werden muss und erst in drei Tagen erhältlich ist. Mein Glück: Gott sei Dank hatte ich für die drei Tage noch ausreichend homöopathische Tropfen, bis die neuen geliefert wurden. Also war es nicht ganz so eilig. Zum Dank erhielt ich zwei Sammeltaler (umgerechnet ergibt das 1,- Euro). Geduld für etwas aufzubringen, lohnt sich also  ; )

 

 

Kleine und große Ziele

 

Sich in der Geduld zu üben, ist eine wirklich herausfordernde Probe in unserem Leben – erst recht in solch einer schnelllebig gewordenen Zeit, denn wir befinden uns in einer modernen Sofortkultur. Schon ein Klick im Online-Shop reicht aus, um sich innerhalb von 24 Stunden seine schicke Klamotte liefern zu lassen. Und ein Anruf, um sich innerhalb von 60 Minuten Bratnudeln vom Chinesen bringen zu lassen. Eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, dafür aber mit begrenzter Geduld. Je größer die Erwartung ist, desto geringer die Geduld. Die Erwartung, dass alles sofort zur Verfügung stehen muss, prägt den Geist unserer Zeit. Langfristige Ziele erfordern jedoch Geduld. Wenn man Geduld nicht mehr bei den kleinen Dingen geübt hat, dann wird man mit Sicherheit seine größer gesteckten Ziele durch seine Ungeduld früher oder später zum Scheitern bringen.

 

Umso mehr gewinnt es an Bedeutung, dass wir unseren Kindern Spielraum lassen, Probleme in ihrem eigenen Tempo zu lösen. Kinder, die in einem ruhigen Familienklima aufwachsen, entwickeln leichter die Fähigkeit, zu warten und Dinge beharrlich und in Ruhe anzugehen und zu Ende zu bringen.

Umgekehrt fällt es Kindern, die permanent mit hektischen Aufforderungen, wie "Beeil dich", "Hör auf zu träumen", "Trödel nicht rum", unter Druck gesetzt werden, wesentlich schwerer, sich in der Geduld zu üben. Ein unzuverlässiges elterliches Umfeld führt dazu, dass Kinder schnell ungeduldig werden.

 

 

Zeit ist Geld? Zeit ist Leben – kostbare Lebenszeit!

 

Sicherlich kennst auch du die wundervolle Geschichte "Momo" von Michael Ende. Seit jeher habe ich dieses Buch in mein Herz geschlossen, besonders die kleine Momo. Momo lebt in den Ruinen eines Amphitheaters, das am Rande einer Großstadt liegt. Sie besitzt eine außergewöhnliche Gabe: sie hat immer Zeit. Eines Tages tauchen grau gekleidete Typen auf, welche die Erdenmenschen um ihre kostbare Zeit berauben, und die kleine Momo ist die Einzige, die sie an ihrem diebischen Vorhaben hindern kann.

 

Als Erwachsene müssen wir lernen, nicht zu streng mit uns zu sein. Achte daher darauf, wie du mit dir selbst in Zeiten der Geduldsprobe sprichst. "Ich muss"-Sätze verstärken deine Ungeduld. Ersetze "Ich muss" durch "Ich möchte gerne" oder "Mir wäre lieber, wenn".

 

Rabbi Nachman aus Breslev lehrt uns, dass wir unsere Nase durch den langen Atem der Geduld heiligen sollen.

 

Ebenso müssen wir geduldiger mit uns selbst sein – und das auch mit unserer eigenen Ungeduld. Geduld heißt in Wirklichkeit, aktiv zu warten – in der Gewissheit, wann der Moment für etwas gekommen ist, entschlossen, dynamisch und gegebenenfalls auch couragiert zu handeln.

 

 

Mache es wie die Rose

 

Lerne anhand der Natur, dir Zeit zu lassen. Die Rose im Garten macht es uns Menschen vor …

 

…Sie lässt sich Zeit zu blühen,

so, als müsse sie erst ihre Blütenblätter ordnen,

ihnen prachtvolle Farbe verleihen

und mit dem richtigen Duft versehen,

um ihre zarten Blüten sorgsam übereinandergelegt nach und nach zu entfalten.

Und eines Morgens streift ihr Duft deine Nase

und ihre volle Blütenpracht versetzt dich ins Staunen.

Das Warten hat sich gelohnt.

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