Der jüdische Witz

Um die Entstehung des jüdischen Witzes besser verstehen zu können, sollte man etwas über den Witz im Allgemeinen wissen...

6 Min.

Anne Forbriger

gepostet auf 05.04.21

Über Witze im Allgemeinen
 

„Witz: kurze Erzählung mit überraschender Wendung, deren Erkennen Lachen auslöst. Psychologisch hat der Witz eine Entlastungsfunktion (z. B. der politische Flüsterwitz in diktatorisch regierten Staaten).“ – aus "Der Brockhaus in einem Band" 

Um die Entstehung des jüdischen Witzes besser verstehen zu können, sollte man etwas über den Witz im Allgemeinen wissen. Wie bereits in dem Brockhauszitat erwähnt wird, wird im Witz etwas sonst Verborgenes versucht aufzudecken. Sigmund Freud erkannte deshalb eine Verbindung zwischen dem Witz und seiner Traumanalyse. Träume stellen in verschlüsselter Form verborgene Wünsche dar. Ähnlich wie der Witz eine Art „Sinn im Unsinn“ sein kann. Das Spiel mit dem scheinbar Sinnlosen kann als entlastend und humorvoll empfunden werden.

Wichtiger ist aber das Spiel mit den Fassaden. So wie in Träumen die Wünsche nie klar erkennbar sind (denn auch dort arbeiten unsere Hemmschwellen), so verbirgt sich in vielen guten Witzen ein hintergründiger Sinn. Bei manchen Witzen wird zudem indirekt eingestanden, dass das Verdrängte oder Verbotene eigentlich besser oder gerechter wäre.

Freud unterscheidet daher in zwei Arten von Witzen
 

  • „harmlose Witze“ = Spiel mit kindlicher Unlogik zum Vergnügen
  • „tendenziöse Witze“ = offenbaren Verborgenes und Verdrängtes (obszöne Witze, aggressive Witze, zynische Witze, skeptische Witze

Wichtig für das Gelingen eines Witzes ist außerdem, dass Motive und Hintergründe sowohl dem Erzähler als auch dem Zuhörer bekannt sind. Daraus ergibt sich eine besondere Schwierigkeit bei jüdischen Witzen, da diese oft großes Hintergrundwissen über zum Beispiel den Talmud erfordern.

Ein anderer Faktor beim Witz ist der des Weglassens. Freud meinte die Wirkung ergebe sich aus dem "ersparten Vorstellungs- und Besetzungsaufwand". Damit kann auch ein "ersparter Gefühlsaufwand" gemeint sein zum Beispiel bei der Verdrängung der Todesangst in Witzen.Witze dienen der Abbaumöglichkeit von Druck. Voraussetzung ist dabei, dass eine Belastung kritisch wahrgenommen werden muss. Der Witz kann so als Waffe für diejenigen dienen, die wehrlos sind oder sich fühlen. Ein Beispiel dafür ist Heinrich Heine. Er ist einer der witzigsten deutschen Autoren und war geprägt durch ein schweres Leben.

Mehr über Heinrich Heine gibt es hier und mehr über Sigmund Freud hier.

Literaturtipps: Sigmund Freud: "Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten" / Heinrich Heine: "Deutschland. Ein Wintermärchen."

Die Entwicklung des Jüdischen Witzes

Die heiligen Schriften kennen keine Witze als solche. Die Propheten lehnten Witze sogar ab. Der Witz galt als "Waffe" von jemanden, der sich mit seiner Situation abgefunden hat und nur noch mit Worten kämpft. Es galt aber etwas zu erreichen und da könne Spötterei nicht hilfreich sein. 

In den nachbiblischen Texten im Altertum und im Mittelalter entstanden Sagen, Anekdoten und Ausmalungen von Bibelepisoden. Diese wurden oft mündlich weitererzählt. Eine sehr beliebte Geschichte war die märchenhafte Legende um die Jüdin Ester, die mit dem persischen König Ahasveros verheiratet war und Juden vor dem persischen Minister Haman rettete.

Echte Witze gab es wenige, nur Erzählungen ähnlich den Geschichten über die Bürger von Schilda oder Münchhausen oder Geschichten über Rabbis. Trotz Exil und Verfolgungen gab es keine wirkliche Auflehnung gegen das, was einem widerfuhr. Dieses Schicksal war gottgewollt und gehörte zu den Lasten des "auserwählten Volkes". Die starke Religiosität führte zu einer Flucht in die Mystik. Das Leid wurde durch einen Messiasglauben erträglich und so waren Witze überflüssig. 

Es wurden zwei wichtige Systeme im (späten) Mittelalter entwickelt: die Kabbala und der Chassidismus. Die Kabbala ist ein äußerst kompliziertes Deutungssystem der Tora, für den normalen Juden schwer verständlich. Der Chassidismus hingegen war eine volksnahe Bewegung in deren Mittelpunkt Einfachheit, Bejahung des Seins, Wunderglaube und Abwendung vom reinen Bücherwissen stand. Mit der Zeit verfiel dieses System aber. Später wurden häufig Witze über Kabbala und Chassidismus gemacht.

Aufgrund der Exilsituation war es für die Identität zahlreicher Juden wichtig sich genauestens mit ihrer Religion auszukennen. Bereits ab 3 Jahren lernten die Kinder Hebräisch. Begabte besuchten die Jeschiwa, die Talmudschule. Auch als Erwachsener sollte man stets weiter lernen. Das Wissen besaß einen hohen Stellenwert. Deswegen entwickelten sich mit als erstes Anekdoten über Ungebildete und menschliche Schwächen.

Neben dem äußeren politischen und sozialen Druck gab es aber noch den inneren religiösen Druck. Bibel und Talmud und später entstandene Werke sind voll von Vorschriften, die es einzuhalten gilt.

Aufklärung

Ende des 18.Jahrhunderts begann die Aufklärung zu wirken. Die religiösen Institutionen ließen an Bedeutung nach, die Religiosität war nicht mehr so stark ausgeprägt, der Messiasglaube geriet ins Schwanken, die Glaubensstrenge wurde aufgelockert. Dadurch wurde aber das Leid bewusster wahrgenommen und man empfand es als sinnlos. Erste Kritik regte sich, es entwickelte sich Mut zur Auf/Ablehnung. Die eigene Wehrlosigkeit gegenüber einer feindlichen Umwelt wurde deutlicher. Ein direkter Kampf war nicht möglich und so bildete sich der Witz heraus. Diese Witze waren hintergründig und kritisch, typische Merkmale des jüdischen Witzes.

Kennzeichen, Besonderheiten und Themen des jüdisch

"Der jüdische Witz ist heiter hingenommene Trauer über die Gegensätze dieser Welt. Er zeigt immer wieder auf, dass – eben in dieser Welt voller Logik – die Gleichungen, die ohne Rest aufgehen, nicht stimmen können." – Carlo Schmidt

Der Jüdische Witz zeichnet sich vor allem durch eine bittere Selbstkritik aus. Er besitzt Schärfe und Tiefe. Er thematisiert Religiöses, Soziales, Politisches oder Philosophisches und wirkt dichter und ausgefeilter als viele andere. Es kommt oft vor, dass die Witze sehr ausführlich und detailliert sind. Manchmal wird in ihrem Stil die sogenannte Talmudtechnik parodiert. Genau wie im Talmud werden Vergleiche herangezogen und ins scheinbar Unlogische getrieben. Die hebräische Schrift des Talmud besitzt keine Satzzeichen oder Vokale , nur durch die Sprachmelodie beginnt es Sinn zu machen. Diese Eigenart wird gerne für Begriffs- und Gedankenspiele verwendet zum Beispiel :

"Was ist Konsequenz?
Heute so, morgen so.
Was ist Inkonsequenz?
Heute so , morgen so."

Beispiele für verschiedene Themen:

Kritik an Bibel, Talmud; Ritus und Kultus

1. Beispiel (nur wirklich witzig wenn man sich etwas mit Koscherkochen auskennt):
Dialog auf dem Berge Sinai

Gott: "… und bedenke, Moses, Koche nie das Böcklein in der Milch seiner Mutter. Das ist ein Greuel."
Moses: "Ohhhh! Du sagst also, man soll milchig und fleischig nie zusammen essen?"
Gott: " Nein, was ich sage, ist, daß man das Böcklein nie in der Milch seiner Mutter kochen darf."
Moses: "Oh, Herr vergebe mir meine Ignoranz. Du sagst, daß wir sechs Stunden nach dem Genuß von Fleisch warten sollen, bis wir milchig essen, damit beides nicht gleichzeitig im Magen ist?"
Gott: "Nein, Moses, hör mir zu. Ich sage, koche niemals das Böcklein in der Milch seiner Mutter."
Moses: "Oh, Herr. Bitte richte mich nicht für meine Dummheit. Du meinst, wir sollen separates Geschirr für Milchiges und Fleischiges haben? Und wenn wir einen Fehler machen, sollen wir das Geschirr draußen verbrennen?"
Gott: "Mach was du willst, Moses …"

2. Beispiel (orthodoxe Juden studieren heilige Schriften nur mit Kopfbedeckung):

An einem Sabbatnachmittag kommt Itzig Schmul besuchen – was sieht er ? Schmul sitzt splitternackt da mit dem Hut auf dem Kopf und studiert einen Talmudfolianten.
"Schmul ! Was sitzt du da ganz ohne Kleider ?"
"Ach, es ist so heiß. Und ich dachte , heute, am Sabbat, kommt ohnehin niemand."
"Aha. Und wozu hast du den Hut aufgesetzte ?"
"Nun – ich dachte : am Ende kommt vielleicht jemand."

Verspottung von strengen Talmudgelehrten und Wunderrabbis

Beispiel für Wunderrabbi: Ein Chassid: "Einmal sah unser Rabbi im Haustor gegenüber einen Juden Schweinespeck kauen. Da rief er 'Das Haus soll über dem Juden zusammenbrechen!' – Dann aber besann er sich und sagte: 'Halt ! Am Ende würden dabei Unschuldige umkommen! Das Haus soll stehen bleiben!' – Und was sagt ihr dazu: Das Haus blieb tatsächlich stehen!"

Ratschläge von Rabbis

Ein Jude klagt beim Rabbi, er wohne mit seiner Familie in einem winzigen Stübchen – es sei nicht auszuhalten.
Der Rabbi klärt. Damm fragt er: "Hast du Hühner? Hast du auch eine Ziege?"
Der Jude hat Hühner und auch eine Ziege.
"Nimm die Hühner und die Ziege mit in die Stube hinein!"
"Aber Rabbi! Gewalt geschrien! Wir können uns doch so schon kaum in der Stube umdrehen!"
Der Rabbi lässt sich jedoch nicht erweichen …
Nach einer Woche kommt der Jude wieder und fleht :
"Rabbi, lasst mich die die Tiere in den Stall zurück tun!"
Der Rabbi erlaubt es, und kurze Zeit später fragt er den Juden:
"Nun, wie ist es bei Euch jetzt mit dem Platz?"
"Rabbi", sagte der Jude glücklich, "wir haben den Eindruck, in einem Riesensaal zu leben!"
Darauf der Rabbi, stolz: "Siehst du!"

Interkonfessionelles Gespräche

Pfarrer zum Juden: "Ich will Ihnen eine hübsche Geschichte erzählen: Ein Jude wollte in den Himmel. Petrus wies ihn ab. Der Jude versteckte sich aber hinter der Türe, und als Petrus nicht achtgab, schlüpfte er hinein… Drin war er nun, und man konnte ihn auf keine Weise loswerden. Aber Petrus hatte einen großartigen Einfall: Er ließ vor der Himmelstüre draußen die Versteigerungstrommel schlagen – da rannte der Jude schnell hinaus, und Petrus schloss hinter ihm zu."

Der Jude: "Die Geschichte ist noch nicht fertig. Durch die Anwesenheit des Juden war der Himmel entweiht und musste neu geweiht werden. Man suchte daher im Ganzen Himmel nach einem Pfarrer – es war kein einziger zu finden!"

Über arme Schnurre und reiche Geizige

"Bitte helfen sie mir! Ich war bei einer Wanderkapelle, und nun hat sie sich aufgelöst, und ich sitze ohne einen Heller in der fremden Stadt. Ich bin ein notorischer Pechvogel."
Hausherr, misstrauisch: "Welches Instrument spielen Sie?"
Der Schnorrer, nach langem Nachdenken: "Oboe."
Der Hausherr öffnet den Schrank, zieht eine Oboe hervor und fordert auf: "Spielen Sie mir etwas vor!"
Der Schnorrer: "Da sehen Sie nun selber, dass ich Ihnen die Wahrheit gesagt habe und dass ich wirkliche ein Pechvogel bin: müssen Sie ausgerechnet eine Oboe besitzen!"

Bestimmte Berufe

Im Schaufenster liegt eine Uhr. Ein Kunde betritt das Geschäft und fragt den Ladenbesitzer, einen bärtigen Juden, nach dem Preis.
"Ich verkaufe keine Uhren", erklärt der Jude.
"Ja, aber im Schaufenster ist doch eine Uhr!"
"Gewiss. Das ist so: ich bin Beschneider der Kultusgemeinde. Was, glaubt der Herr, soll ich denn ins Schaufenster hängen?"

Anekdoten über berühmte Leute

Der Wiener Schriftsteller Saphir geht in einer engen Gasse hinter einer Gruppe schnatternder Damen her, die ihn nicht vorbeilassen. Schließlich drückt er eine von ihnen beiseite, um vorbeizukommen.
Die Dame:"Unverschämter Kerl, was treibt er da?"
Saphir: "Gänse."

Militärwitze

Ein Jude kommt frisch in den Schützengraben. Eben ist im Vorfeld eine feindliche Patrouille. Es beginnt eine wüste Schießerei. Der Jude ruft entsetzt: "Hört doch auf zu schießen! Seht ihr nicht, dass dort Leut herumlaufen?!"

Die Autorin verfasste diesen Artikel für das Jüdische Geschichte und Kultur Projekt vom Lessing-Gymnasium Döbeln.

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