Schon wieder Judentum?!
Ständig kommen uns die Mitzvot im normalen Leben dazwischen, behindern, schränken ein. Muss das so sein?
Stellt euch folgende Situation vor: Ihr seid auf dem Weg zu einem wichtigen Meeting. Wenn es gut verläuft, macht ihr heute den Deal eures Lebens. Ein ganzes Jahr habt ihr auf diese zehn Minuten hingearbeitet. Aber dann, als ihr gerade das Auto in der Tiefgerage des Luxus-Hotels geparkt habt, fällt es euch ein: ihr habt heute noch keine Tefilin angelegt. Und der Sonnenuntergang – der Zeitpunkt, bis zu dem man Tefilin anlegen kann – ist in wenigen Minuten.
Kommt euch das bekannt vor? Ihr seid ganz nah dran an einem großen Erfolg und alles was euch jetzt noch aufhalten kann, ist: euer Glauben, das Judentum.
Das ist eines der Dinge, die euch wirklich aufregen können, und das ist sehr verständlich. Ihr investiert viel in euer Judentum, in jüdisches Leben, und lasst euch davon in Allem beeinflussen. Aber jetzt behindert es euch. Warum sollte man so leben? Wer braucht diesen Lebensstil? Macht euch das Einhalten von Mitzvot nicht zu Robotern, die nur tun, was man ihnen sagt?
Als jemand, der in den USA lebt, denke ich oft an die Juden, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hierherkamen. Die haben sich bestimmt auch oft so gefühlt, jeden Sonntag, wenn sie wussten, dass sie sich morgen eine neue Arbeit suchen mussten, weil man ihnen wie jede Woche gekündigt hatte, nachdem sie am Shabat nicht zur Arbeit erschienen sind. Warum haben sie weiterhin als Juden gelebt? Warum haben sie weiterhin nach der Torah und den Mitzvot gelebt, die sie einschränken? Sie waren schließlich keine Roboter…
Unser Hauptproblem ist, dass wir fühlen, dass die Torah uns nach unten zieht, G-tt behüte! Und uns nicht ermöglicht, uns zu entwickeln. Aber hier machen wir einen riesigen Fehler. Judentum ist viel mehr als nur eine Verpflichtung, die Mitzvot zu halten. Die Torah ist viel mehr als eine Sammlung von Schriften, die zu einem dicken Buch zusammengebunden wurden. Die Torah gibt uns so viel, wenn man sich die Zeit nimmt, sie in ihrer Tiefe zu studieren. Ja, das Judentum verlangt viel von uns. Aber dafür bekommen wir doch so viel mehr! Nehmt zum Beispiel die Entspannung und Seelenruhe, die wir dadurch bekommen, dass wir Shabat halten.
Das Judentum ist eine Kultur voller Bräuche und Rituale. Unsere Vorfahren haben die Torah und die Mitzwot Jahrtausende lang bewahrt. Und wir sind heute Teil dieses Werkes, das Judentum zu bewahren, zu leben und weiterzugeben. Zu wissen, dass wir Teil eines Volkes sind, das Tausende Jahre überlebt hat, bis wir heute sind, wo wir sind, ist das nicht schon eine große Motivationsquelle?
Aber da ist noch mehr: Die jüdische Kultur basiert auf Dingen, die wirklich wichtig sind, und das ist es, was die Flamme des Judentums so lange am Leben gehalten hat und weiterhin am Leben hält. Wir haben vom Schöpfer, gepriesen sei er, die Anleitung bekommen, wie wir auf dieser Welt leben sollen, und wie wir in ständiger Verbindung zu ihm leben können, um von ihm Kraft und Segen zu empfangen. Wenn wir und das vor Augen halten bei jeder Mitzvah, die uns vielleicht gerade schwer fällt, wenn wir das mit ganzem Herzen glauben, dann schränkt uns die Mitzvah nicht ein, sondern sie bereichert uns.
Und noch etwas: Hattet ihr schon mal das Gefühl, überflüssig zu sein auf dieser Welt? Dieses Gefühl kommt auf, wenn wir Dinge tun, die nicht wirklich wichtig oder nötig sind. Dieses Gefühl, nicht wichtig zu sein, kann tief in uns hinein sickern. Das Judentum zwingt uns dazu, ein Leben in dem Bewusstsein zu führen, dass wir ständig wichtige Dinge tun. Bei jedem Snack, den wir essen, sagen wir eine Bracha, einen Segensspruch, wir tun etwas, was nötig und wichtig ist. Durch das Judentum können wir ein Leben führen, das eine Bedeutung hat, mit einem Ziel und einer klaren Ethik.
Wenn ein Mensch in Pension geht, begleitet ihn oft das Gefühl, dass er seine Aufgabe beendet hat, dass er der Gesellschaft, aber auch sich selbst und seiner Familie alles gegeben hat, was er zu geben hatte. Die Workaholics werden genau verstehen, von was ich rede. Plötzlich stehen Sie nicht mehr früh auf, gehen nicht mehr auf Arbeit, tun, schaffen, reden mit Kollegen. Sie haben keine Gelegenheit mehr, an Kollegen und Kunden freundliche, aufbauende Worte zu richten, ihnen wunderbare Nächstenliebe zu erweisen. Dabei vergessen wir, dass die Freundlichkeit und Nächstenliebe, die wir außerhalb des Hauses tun eigentlich weniger wichtig ist als die, die wir innerhalb der Familie, in den eigenen vier Wänden erweisen.
Religiöses Leben gibt dem Menschen Bedeutung und ein Ziel im Leben. Eine Aufgabe, auch nachdem er in Rente geht. Eine Aufgabe, die wichtiger ist, als das Meeting. Die Mitzvot wurden uns von unseren Vätern über Jahrtausende hinweg anvertraut, damit wir sie weitertragen. Aber nicht um der bloßen Tradition willen, sondern um in der Welt die Realität zu leben, dass wir in ständiger Verbindung mit dem Heiligen, gepriesen sei er, unser Leben führen. Wenn ihr also das nächste Mal den Deal eures Lebens verpasst, weil ihr noch Tefilin anlegen musstet, oder eurem Partner etwas Gutes tun, oder jede andere Mitzvah, die das Judentum uns anbietet – seht das als die größte Investition eures Lebens!
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