Ich kannte sie nicht einmal…

Orit Riter beschreibt, wie sie darum kämpft, mit Emuna der Trauer etwas Positives abzugewinnen

3 Min.

Orit Esther Riter

gepostet auf 15.03.21

Gewidmet Le'Iluji Nishmat Gebriella Rachel Bat Israel

 

"Aber Mama, du kanntest sie doch gar nicht…" sagte meine zwölf-jährige Tochter mir schon den ganzen Tag. Ich habe erfahren, dass die Mutter von einem Freund meines Sohnes verstorben ist, nachdem sie lange gegen eine Krankheit gekämpft hat. Und sie war gerade erst in ihren Vierzigern. Es stimmt, ich habe Gabriella Rachel nicht persönlich gekannt, aber ist das wichtig? Ich weiß nur, dass ich Tränen in den Augen habe und einen Kloß im Hals, wenn ich an sie und ihre Familie denke.

"Aber Mama, das ist doch nicht das erste Mal, dass du hörst, dass jemand stirbt?!" Meine Tochter ist sehr besorgt, dass ihre sonst recht fröhliche Mutter ständig wieder feuchte Augen bekommt.

Aber ich kann nur daran denken: Wieder eine Familie verwaist, und ich spüre einen tiefen Stich in meinem Herzen. Es ist bestürzend. Und es bringt mich dazu, mich von ganzem Herzen an eines der wesentlichen Prinzipien des Judentums zu klammern: Emuna. Die treue, gläubige Stimme im Juden ruft: G-tt tut alles zum Besten. Entweder das ist klar und deutlich sichtbar, oder es wird sich erst am Ende zeigen. Aber alles, was HaShem tut, ist zum Besten. Denn G-tt liebt uns.

Trotzdem kann ich den Kloß in meinem Hals einfach nicht runter schlucken, und meine feuchten Augen hören nicht auf, zu tropfen… Während ich das hier schreibe, habe ich zum ersten Mal ein Foto von Gabriella Rachel gesehen. Ein Foto zu dem Namen, für den ich wochenlang gebetet habe – das macht es noch schmerzhafter.

Die rationalen Fragen: "Wie kann das nur sein? Wie kann die Familie jetzt weiter machen? Wie viel muss sie gelitten haben…" kämpfen mit der über-rationalen Antwort der Emuna: "G-tt hat alles unter Kontrolle, er hat einen Plan, alles ist gerecht und fair".

Welche Seite gewinnen wird? Ganz ehrlich, beide Seiten gewinnen an einem Punkt meine Aufmerksamkeit. Unterdessen greift meine Tochter nach meiner Hand und fragt: "Aber du hast sie nie getroffen, wie kann das hier dich so mitnehmen?"

Aber das passiert ständig. Wir beten für jemanden, den wir nicht kennen, und wir werden nie hören, was daraus geworden uns. Aber trotzdem berührt uns der andere Mensch. G-tt hat die Welt so geschaffen, dass wir Menschen nicht physich treffen müssen, damit sie unser Herz berühren. Ich musste Gabriella Rachel nicht treffen, um ihren Schmerz zu spüren, ihre Trauer, und ihre leidende Familie. Wir müssen jemanden nicht berühren, um ihn zu spüren, wir brauchen nur ein Herz voller Sensibilität und Mitgefühl. Und die Prinzipien der Torah, die uns aufrufen, Freude und Schmerz zu teilen!

 

"Manche Menschen kommen in unser Leben als Segen, manche als Lehre", sagt man. Gabriella Rachel ist im Monat Tammuz verstorben, dem Monat vor Av, dem schwersten Monat des Jahres, in dem wir auch Tisha B'Av begehen. In dieser Zeit reflektieren wir über die Gründe für persönliche und nationale Zerstörung. Aber mit jeder Zerstörung werden wir auch aufgerufen, neu aufzubauen! Emuna macht es mir möglich, über meinen Horizont hinaus zu sehen und zu fragen: "Vielleicht gibt es hier mehr, als was ich auf den ersten Blick sehe. Was soll ich mit diesem Schmerz tun, wie kann ich ihn nutzen, um Dinge zu verbessern? Wie kann ich etwas zu Ehren von Gabrielle Rachel tun, was diese Welt verbessert?" Und die Antwort kommt, nachdem ich es geschafft habe, so über meinen Horizont hinaus zu blicken: So wie du diese wunderschöne Seele und ihre Familie bedingungslos geliebt hast, so kannst du auch andere lieben.

Unsere Herzen weich machen, andere voller Mitgefühl lieben, muss eine tägliche Übung sein. Diese Monate, Av, Elul, Tishrei, sind die Zeit für so ein Ändern der Perspektive. So können wir zurück finden zu Einheit und Liebe. Ich weiß jetzt, warum mich der Tod von Gabriella Rachel so bewegt hat. Ich musste lernen, dass es genauso sein muss: wir müssen den anderen spüren, seine Freude und seinen Schmerz. Manchmal fällt es uns schwer, von Herzen die Freude eines anderen nachzuvollziehen. Dann kommen die schmerzhaften Momente, und wir lernen, mit anderen zu leiden.

 

Ich bin dankbar für den Kloß in meinem Hals und die Tränen in meinen Augen. Ich kann nicht nur für einen anderen weinen, ich habe vor allem eine dauerhafte Lektion in selbstloser Liebe gelernt, die ich weitergeben kann. Ich weiß jetzt, dass ich jemanden nicht kennen muss, um mit ihm fühlen zu können.

 

Möge die Seele von Gabriella Rachel bat Israel zwischen die Gerechten erhoben werden, die diese Welt verlassen haben, Amen.

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1. Ray Martini

9/27/2019

Verluste verbinden wir meist mit Trauer und in der Tat empfinden wir gerade bei Verlust eines Menschen Trauer. Dennoch vergessen wir manchmal, dass selbst der Tod eines Menschen der Wille unseres G-tt ist. Dahinter steckt meist viel mehr als nur der Tod. Manchmal brauchen wir sehr lange Zeit, um dies zu begreifen, insbesondere wenn uns der Verlust, also die Trauer, weh tut. Doch G-tt will uns nicht weh tun.

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