Botschafter der Hoffnung – Teil 2

Als der Meister die Worte des Kriegsmannes vernommen hatte, wünschte er, vor den Helden geführt zu werden, und so geschah es.

7 Min.

Andrea Jockisch

gepostet auf 14.03.21

Dies ist die Fortsetzung der Geschichte des Rabbi Nachman, die vom Meister des Gebets erzählt …

 

Als der Meister die Worte des Kriegsmannes vernommen hatte, wünschte er, vor den Helden geführt zu werden, und so geschah es. Sie erkannten sich wieder und umarmten einander. Aber der Schmerz um die Verlorenen war über ihnen.

Der Held begann von seinem Schicksal zu reden und sprach: „Als ich damals – nachdem der Sturm die Welt verwüstet hatte – von meinem Zug zurückkehrte, fand ich mein Haus verwaist und alle meine Nahen waren mir verschollen. Da wich ich vom Weg ab und irrte im Zufall umher. Wie ich so schweifte, kam ich an einen Ort, da lag in meinem Herzen die Gewissheit, hier müsse der König sich aufhalten. Ich suchte, aber ich konnte ihn nicht finden. Da zog ich weiter. Und ein andermal fühlte ich die Nähe der Königin. Und so habe ich auf meinen Wegen die Orte aller Reichen betreten, ohne einen zu finden. Deinen Ort aber habe ich nicht gesehen und meine Schritte haben nicht deine gekreuzt."

 

 

Die Spuren der Verschollenen

 

Der Meister antwortete: „Auch ich bin an all den Orten gewesen, an denen sich unsere Leute aufhielten, um zu klagen. An jedem Ort befand sich die Klage in den Zweigen der Bäume und in die Kehlen der Vögel; so rauschte und sang die Klage zu mir hernieder. Auch durch deinen Ort bin ich gegangen. Denn auf einem Hügel lag ein goldener Glanz gebreitet. Ich wich auch in der Dämmerung nicht, und der Glanz malte auf die steinige Hügelspitze die Gestalt einer Krone. Da wusste ich, hier hat der König gewohnt, und hier lag seine Krone neben ihm, die an keinem Ort weilen kann, ohne ihm ihr Bild zu lassen. Von ringsumher kam aus der Luft die hohe Klage zu mir, mächtig und einsam wie das Tönen einer Glocke. Aber die Spur des Königs konnte ich nicht finden. Weiter ging ich über ein weites Sandgelände, da sah ich am Boden große blutige Tropfen und versickerten nicht und trockneten nicht. In ihnen war es wie der Blick zweier Augen, der zu mir empor drang. Ich wusste, dass dies die Tränen der Königin sind, die sie aus ihrem Blut geweint hat. Durch den Sand wisperte die Klage – leise und gebrochen. Aber die Königin war nirgends in der weiten, offenen Fläche zu entdecken. Ich ging weiter. Eines Morgens traf ich auf einen Bach, über dem floss ein dünner milchiger Streifen, der sich mit dem Wasser nicht vermischte. Aus dem Bach summte es hervor – still und zärtlich, ein weiches, klagendes Wiegenlied, das niemals endete, und scheinbar ohne Wandel in gleichem Maße dahinfliegend, doch immer neue Klänge aus dem Bach hervorbrachte. Und ich wusste, die Milch war der Brust der Königstochter entsprungen, als sie da stand und sich um ihr Kind sorgte. Aber sie selbst war nicht da.

Später kam ich in einer Heide an einen riesigen Stein. Ich ließ mich neben ihm nieder und besichtigte ihn, ob er mit Zeichen bedeckt war, und erkannte Linien und Wege – ähnlich jenen, die in der geheimnisvollen Hand des Königs eingeritzt waren. Hier war der Weise des Königs gewesen und hatte versucht, die Tafel der Welten nachzubilden.

Und auch aus dem stummen Stein sprach die Klage mit gewaltiger tonloser Stimme, aus allen Furchen wehleidig hervorbrechend.

Ein andermal gelangte ich auf steilem Grat zu einem Ort, wo der Abgrund sich blicklos in das Dunkel hin auftat. Aber das Dunkel war nicht leer, sondern ein Klingen schwebte darin wie von einer Harfe, schwang dahin in den Raum, verfing sich im Schrankenlosen, kehrte wieder, und war wie eines Herzens Pochen und wiederkehrender Schlag, ein großes Saitenspiel im Dunkel, ein Gesang der Klage. Hier hatte der Sänger des Königs gestanden, und sein Lied hatte den Abgrund gefüllt.

Dann kam ich an eine Wiese, in der ein einziger weitgedehnter Baum stand. Darunter war die Erde aufgewühlt, wie von dem Stoß eines ungeheuren Schwertes. Und aus der Öffnung stieg ein fernes Raunen der Klage. Da erkannte ich deine Gegenwart. Aber an einem anderen Tag führten mich meine Schritte in ein Waldtal. Da sah ich auf grauem Moos ein Löckchen sonnenblonder Haare liegen, und es war ein Licht an ihnen, als hätten sie die Sonne in sich getrunken. Rings um mich zwischen den Büschen war ein sanftes Wandeln von nackten Kinderfüßen, und das Gras neigte sich zu beiden Seiten des Wandelns. Aber es war kein Geschöpf dazwischen. Und in den Büschen war eine Rede, nicht wie eine Klage, sondern wie die klare und friedliche Stimme eines Kindes, das aller Zukunft sicher ist. Aber die Rede kam von keinem Mund, sondern hing und flatterte über den Büschen wie Sommerfäden."

 

Der Held erwiderte: „An all diese Orte bin auch ich gegangen. Aber bei den goldenen Haaren meines Kindes habe ich geweilt und geweint. Sieben von ihnen habe ich mit mir genommen. Sie leuchten in den sieben Farben des Regenbogens und sind mein Trost auf allen meinen Wegen. Als ich mich erhob und weiterzog, traf ich auf eine Schar starker Leute, die habe ich bezwungen und mich an ihre Spitze gestellt, um die Welt für meinen König zu erobern."

Da entsann sich der Meister der Leute im Land des Reichtums, und er erzählte dem Helden von dem Wahn, der sie befallen hat, und wie tief sie von ihrer Sucht besessen seien. Er klagte ihm, es dünke ihn ein schier unmögliches Beginnen, ihren Sinn zu wenden.

„Denn", so sagte er, „wo immer der Mensch sich daran hängt, etwas zu sein oder etwas zu wirken, da bleibt seine Wurzel im Menschlichen, und aus seiner Wurzel kann er heil werden. Worin immer er sich bindet – im Wissen oder im Wort, in Schönheit oder in Freude, in Tod oder in ewiger Ehre –, er vermag durch sich selbst gelöst zu werden und sein Leben zu gründen. Wo aber der Mensch sich an den Trug hängt, etwas zu haben, da reißt er seine Wurzel aus dem Menschlichen. Sie saugt ihm kein Heil mehr aus der Menschenerde, und ich weiß ihm keine Hilfe."

Der Held sprach: „Ich habe einmal von unserem Könige gehört, dass es möglich sei, Menschen aus allen Irrungen zu befreien, nur aus der Irrung des Goldes nicht. Für die, welche dieser Irrung verfallen sind, gäbe es nur ein Heil: Sie müssen den Weg des Ortes geführt werden, von dem das Zauberschwert seine Kräfte leiht."

 

Da mussten sie beide wieder denken, wie mit dem König und seinen Leuten auch die Hand verschollen sei, die Tafel der Welten und Zeiten, und wie der Sturmwind die Wege zu den Orten verschüttet hat, an denen die Kräfte sich erneuern. Die Hand ist nicht da, und der König ist nicht da, die neuen Wege zu verkünden. Und der Schmerz überkam sie mächtiger als je vordem. Dann bat der Meister um Frist und Aufschub für das belagerte Land, dessen sein Herz sich erbarmt hatte, und der Held gewährte sie. Die beiden vereinbarten noch Zeichen, mit denen sie einander Kunde geben wollten, wenn etwas geschehen würde, was der eine den andern möchte wissen lassen. So gingen sie davon und der Meister zog seines Weges.

 

 

Der Schatz in der Berghöhle

 

Inzwischen hatten die Leute im Land des Reichtums, um die Gefahr zu wenden, mehrere von denen, die nicht so viel besaßen, ergriffen und sie den Reichen, die ihnen Götter dünkten, als Opfer dargebracht. Als sich aber auch dieses Tun als fruchtlos erwies und sie nach wie vor Morgen für Morgen am Fuß ihrer Befestigungen die Schar des Helden in gewaltiger Ruhe gelagert erblickten, beschlossen sie, die gewährte Frist auszunutzen und nunmehr Boten in jenes Land zu entsenden, dessen Reichtum so unendlich war, dass seine Bewohner für sie allesamt als Götter galten. Die Boten zogen aus, wichen aber versehentlich vom rechten Wege ab und verirrten sich. Indem sie suchend in der Welt umherstreiften, begegneten sie eines Tages einem Menschen, der trug in seinen Händen einen goldenen Stab – über und über bedeckt mit funkelnden Steinen, von denen ein Strahlen ausging wie von einem der großen Sternbilder. Sein Hut war mit Perlenschnüren umwunden, die die Schätze aller Meere in sich zu sammeln schienen. Alle Reichtümer ihrer Götter zusammengenommen waren wie ein Kinderspiel gegen den unermesslichen Wert der Kleinodien, die der Fremde an sich trug. Bei seinem Anblick sanken sie mit den Gesichtern in den Staub und stammelten Worte der Anbetung, denn was konnte ihnen die Erscheinung anderes bedeuten als den Gott über alle Götter. In Wahrheit aber war es der Schatzmeister des Königs, der damals – als der Sturmwind das Angesicht der Erde verwandelte – die Schätze seines Herrn geborgen und sie seither bewacht hatte.

 

Er ließ sie aufstehen und als sie ihn angstvoll fragten, wer er sei, gab er ihnen Bescheid. Da flehten sie ihn an, er möge ihnen den Königsschatz zeigen. Er führte sie in die Berghöhle, wo die Schätze unübersehbar aneinandergereiht lagen. Da redeten die Boten zueinander: „Wozu sollen wir noch zu jenen Göttern gehen? Lasst uns diesen bitten, dass er mit uns zieht. Denn sicherlich ist er mächtiger als alle Götter, die wir kennen."

Als sie solche Bitte vor ihn brachten, war er bereit, mit ihnen zu gehen und befahl ihnen, die Schätze zu nehmen und auf ihre Gefährte zu laden.

„Aber achtet wohl darauf," rief er ihnen zu, „dieser Dinge, die der Schmuck der Erde und ein zartes Gewand des Lebens sind, nicht nach Geldesart zu begehren, denn wo einer nach ihrem Besitze verlangt und das edle Gut, das geschaffen ist, Schönheit zu sein und Freude zu wirken, zu eitlem Haben missbrauchen will, zerfallen sie zu Staub vor den gierigen Augen."

Das vernahmen die Boten mit unendlichem Staunen. Es dauerte lange, bis sie den Sinn der Worte erfasst hatten. Dann nahmen sie die Schätze auf und traten mit jenem den Heimweg an. Auf der ganzen Fahrt betrachteten sie die auf den Wagen ausgebreiteten Reichtümer nur verstohlen, mit scheuem und angstvollem Blick. Wenn eines der Juwele sich verschob, wagten sie kaum, es zurechtzulegen.

 

Im Land des Reichtums wurden sie mit rauschender Freude empfangen, denn nun wähnten dessen Insassen, vor dem Helden geborgen und sicher zu sein, da sie den Gott aller Götter in ihren Mauern bargen. Der Schatzmeister aber, der das Irren des Landes erkannt hatte, erließ Gesetze, um ihm zu steuern, und verbot den Götterdienst, die Opfer und die Erniedrigung der Besitzlosen; aber was er auch unternahm und wie er die Leute beredete, es gelang ihm nicht. Da sie ihm aber unablässig von dem Helden erzählten und ihn baten, er möge sie von der Gefahr befreien, ging er in das Lager hinaus und ließ sich vor den Feldherrn führen. Alsbald erkannten sie einander in großer Freude. Nach einer stillen Weile begann der Held zu reden und erzählte ihm von allen Dingen, die geschehen waren, und auch von dem Meister des Gebets erzählte er ihm. Dann sprachen sie von dem Land des Reichtums. Der Held tat seinem Freund jene einzige Befreiung kund. Da bat der Schatzmeister ihn um neuen Aufschub, und er gewährte ihn. Auch sie setzten noch Zeichen der Botschaft fest, dann trennten sie sich. Der Schatzmeister aber kehrte in das Land des Reichtums zurück und sprach zum Volk: „Nehmt von mir den Rat, wie ihr vor dem Helden bestehen könnt! Fern über Fernen, hinter weiten verschollenen Wegen liegt in dämmerndem Zauber der Ort, von dem das Schwert des Helden seine Kraft und sein Geheimnis nimmt. Diesen Ort müssen wir suchen. Ihr sollt an ihm frei werden in großer Macht und ewige Gewalt empfangen, in der alle Wehr und aller Sieg beschlossen sind."

 

Dessen waren die Leute wohl zufrieden, und sie erbaten von ihren vielgelobten Göttern, den Reichsten des Landes, dass sie selbst den Schatzmeister begleiten sollten. Der aber ließ den Helden seinen Willen und seine Absicht wissen. Im Grauen des nächsten Morgens kam der Held verkleidet zu ihm und schloss sich ihm an. Und auch dem Meister des Gebets entboten sie Kunde. Auch er kam, um mit ihnen zu gehen, und umarmte den Gefährten in lichter Freude. Nun zogen sie mit den Boten des törichten Landes dahin. Da aber von der Zeit des Sturmwindes her die Erde mit all ihren Wegen verwandelt war, beschlossen sie, so lange von Reich zu Reich zu gehen, bis sie an den rechten Ort kämen.

 

 

Fortsetzung folgt …

 

Zum 1. Teil von "Botschafter der Hoffnung" geht´s hier

 

Zum 3. Teil von "Botschafter der Hoffnung" geht´s hier …

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