Rabe, Taube, Teenager – Noach

Zwei Vögel schickte Noach aus der Arche, den Zustand der Außenwelt zu prüfen: den Raben und die Taube. ...

4 Min.

Rabbiner Asri´el Ari´el

gepostet auf 06.04.21

Zwei Vögel schickte Noach aus der Arche, den Zustand der Außenwelt zu prüfen: den Raben und die Taube. Zwei sehr unterschiedliche Tiere – in ihrem Wesen, in ihrem Verhalten, in ihrer Einstellung zum Leben im Allgemeinen und zu ihrer Mission im Besonderen.

Wollen wir nun zu Beginn unserer Betrachtung einige sonderbare Dinge erwähnen:
Die Aussendung von Taube und Rabe erfolgte nicht mit dem Worte wajischlach – was eine Schlichut, Gesandtschaft bedeutet hätte, sondern "wajeschalach", von Schiluach – ein milder Ausdruck für Vertreibung.
 
Warum vertrieb sie Noach aus der Arche? Und wenn er sie auf eine Mission schickte, warum wird deren Inhalt nur einmal bei der Taube genannt, und nicht beim Raben? Und woher die unterschiedlichen Reaktionen von Taube und Rabe?
 
Aus der weiteren Entwicklung wird ersichtlich, dass der Ausdruck "wajeschalach" in der Tat auf eine zusätzliche Absicht Noachs beim Herausgeben des Raben und der Taube aus der Arche hin deutet. Er zeigte ganz unterschiedliches Verhalten den beiden gegenüber. Den Raben schickte Noach einfach so aus (Gen. 8,7), die Taube aber entsandte er "von sich" (8,8), d.h. von einem Orte der Nähe aus.
 
Auch als die Taube in die Arche zurück kehrte, zeigte Noach ein Verhältnis von väterlicher Sorge, so wie es heißt:
„ …und er streckte seine Hand aus, und nahm sie und brachte sie zu sich in die Arche“ (8,9)
 
Die Aussendung des Raben erfolgte ohne ein ausdrücklich definiertes Ziel, wohingegen die Aussendung der Taube auf eine eindeutige Mission erfolgte – „um zu sehen, ob die Wasser gefallen seien von der Fläche des Erdbodens“ (8,8).
 
In beiden Fällen ist von Schiluach die Rede, nicht von Schlichut (s.o.). Noachs Zielsetzung beschränkte sich nicht auf die Einholung von Informationen über das Vorgehen in der Umgebung. Er wollte außerdem den Raben und die Taube zu selbständigem Leben außerhalb der Arche fort schicken. Dies brachte er aber auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck. Das Fortschicken des Raben hatte kein spezielles Ziel, vielmehr wollte Noach ihn aus der Arche raus haben (nach den talmudischen Weisen verhielt er sich dort nicht korrekt…). Das Fortschicken der Taube hingegen diente nicht ihrer Vertreibung aus der Arche, sondern der Entwicklung ihrer eigenen Kräfte durch Übernahme einer Aufgabe in der Außenwelt. Diesen Anspruch enttäuschte der Rabe. Er mühte sich nicht, die Lage in größerer Entfernung zu sichten, doch kehrte er auch nicht in die Arche zurück (nach einer Ansicht ließ ihn Noach nicht in die Arche hinein…). Er flatterte so um die Arche herum. Seine Aussendung nach draußen lehrte gar nichts. Auch die Taube schickte Noach zu eigenständigem Leben hinaus, sie war sich allerdings einer besonderen Aufgabe bewusst. Sie prüfte die Umgebung und kehrte zu Noach mit dem Ergebnis zurück.
 
Mal für Mal schickte er sie aus, und jedes Mal erhielt er ein "update" über den Zustand außerhalb der Arche, also draußen auf der Erde.
Und als sie einmal ausflog und dann nicht wieder kehrte, wusste Noach, dass sie eine Ruhestatt für ihren Fuß gefunden hatte und dass er nunmehr alle Bewohner der Arche auf den gleichen Weg schicken konnte.
 
Man kann die Geschichte vom Raben und der Taube als Gleichnis für heran wachsende Jugendliche auffassen. Das Elternhaus bietet – wie die Arche Noach – einen gut geschützten Platz. Draußen herrscht die Sintflut: Verwirrung, Verfall und andere üble Dinge. Die Herausforderung ist groß, ebenso die Gefahren. Und drinnen – warm und gemütlich. Und siehe da, es ist die Zeit für den heran wachsenden Sohn gekommen, dass er das heimische Nest verlassen sollte, um sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Da gibt es den einen, der dem Raben ähnelt. Seine Eltern schubsen ihn aus dem Haus, weil sie genug davon haben, ihn sich in der heimischen Arche räkeln zu sehen. Er aber hat kein bestimmtes Ziel im Auge. Er zieht aus, einfach so. Er zieht aus, entfernt sich etwas – und kehrt sofort zurück. Er wahrt den Sichtkontakt mit dem schützenden Heim. Er hütet sich, für sein Leben Verantwortung zu übernehmen. Doch kehrt er nicht zurück an den heimischen Herd, in die Wärme des familiären Rahmens.
 
Dieser bedrückt ihn, bedroht seine Freiheit, oder bedeutet ihm als "Wink mit dem Zaunpfahl", er solle seine Flügel ausbreiten und sich endlich in die weite Welt schwingen. Ihm aber fällt es schwer, Verantwortung zu übernehmen. Er hat kein Ziel, er sieht sich nicht heraus gefordert, er hat keine eigene Aufgabe zu erfüllen. Und so bleibt er stecken – nicht hierhin gehörend und nicht dorthin.
 
Ein anderer Typus ähnelt der Taube. Er zieht nicht "einfach so" aus, und sicherlich bestehen keine Spannungen zwischen ihm und dem Elternhaus. Und selbst wenn die Zeit für ihn reif ist, das Haus zu verlassen, nimmt er sich ein bestimmtes Ziel vor, wobei ihn elterliche Liebe, Unterstützung und Segen begleiten und ihm Kraft geben. Er ist sich der Gefahren der großen weiten Welt bewusst und geht aus, sie zu prüfen und in ihr aktiv zu werden im Namen der ganzen Familie. Dieses Bewusstsein, eine Aufgabe zu erfüllen, erhält eine warme und tiefe Verbindung zu seinen Eltern aufrecht. Und wenn er doch keine Ruhestatt für seinen Fuß fand, wird er von seiner Familie in Liebe und Herzlichkeit wieder aufgenommen, bis sich der Sturm gelegt hat. Nach einiger Zeit zieht der Sohn wiederum aus. Dieses Mal findet er irgendeinen Stützpunkt da draußen, doch das verlangt von ihm Auseinandersetzung. Alleine steht er den Herausforderungen des Lebens gegenüber. Er kehrt nun mit einem "Ölblatt" nach Hause zurück. Dieses Olivenblatt spricht eine deutliche Sprache:
 
„Lieber sei meine Nahrung bitter wie ein Olivenblatt, aber aus G~ttes Hand, als süß wie Honig, aber von der eines Menschen abhängig!“ (Eruwin 18b)
Er versteht die Bedeutung persönlicher Verantwortung. Nicht das Gefühl der Sprengung von Rahmen macht ihn mächtig, sondern das Gefühl der Verantwortung.
 
Als verantwortungsbewusster Mensch steht er direkt vor dem, der sprach und es ward die Welt, ohne die Vermittlung seiner Eltern und Erzieher. Er ist bereit, einen Preis für diese Selbstständigkeit zu zahlen, und gerade durch sie findet er seine persönliche Verbindung zu seinem Schöpfer.
 
In der nächsten Stufe flüchtet das Küken das Nest und kehrt nicht wieder zu ihm zurück. Endlich "fand die Taube eine Ruhestatt (manoach) für ihren Fuß" und baute sich ihr eigenes Nest. Manoach ist nicht nur einfach ein ruhiges Plätzchen, sozusagen als Ersatz für die Arche Noach. Manoach bedeutet – so wie im Buche Ruth „ …soll ich dir nicht suchen eine Ruhestatt, wo es dir wohl gehe“; (3,1) – oder „dass ihr eine Ruhestätte findet, jegliche das Haus ihres Mannes…“ – Ruth 1,9) – die Gründung einer eigenen Familie!
 
Einer Familie, die für ihr Schicksal und die Erfüllung ihrer Bestimmung selbst verantwortlich ist. Der Wert – und auch die Heiligkeit – dieser neuen Schöpfung wird in dem Schabbatlied (Jom schabbaton ejn lischkoach…) von Rabbi Jehuda Halevi angedeutet.
 
Der Ruhetag ist nicht zu vergessen, erinnert er an den Geruch feinen Räucherwerks, an ihm fand die Taube ihre Ruhestatt, an ihm sollen die Erschöpften ruhen.
 
 

Sagen Sie uns Ihre Meinung!

Danke fuer Ihre Antwort!

Ihr Kommentar wird nach der Genehmigung veroeffentlicht.

Fuegen Sie einen Kommentar hinzu.