Der Riese

Im Leben eines Menschen geht es wie am Laufband von einem Hindernis zum anderen! Dieser Kreislauf führt dabei bei einigen unter uns zur der Frage ...

7 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 05.04.21

Im Leben eines Menschen geht es wie am Laufband von einem Hindernis zum anderen! Dieser Kreislauf führt dabei bei einigen unter uns zur der Frage: „War es vielleicht Gott, der … ?!“ Doch diese Gedanken werden ziemlich schnell durch plötzliche Begegnungen mit Personen, die einem mit schlüssigen Aussagen versuchen davon zu überzeugen, dass es rein gar nichts mit Gott zutun hat, auf einen harten Prüfstand gestellt. Daher lassen Sie sich nicht unterkriegen! Folgen Sie Ihren Glaubensgedanken, denn dadurch wird Sie nichts mehr in Ihrem Leben aus der Bahn werfen können!
 
Eine der berühmtesten Geschichten von Rabbi Nachman aus Breslev ist die Geschichte „Die verschollene Prinzessin“. Aus dem Titel lässt sich der inhaltliche Erzählungskern bereits erkennen: Es dreht sich um die Tochter eines Königs, die plötzlich und wie aus dem Nichts von der Bildfläche verschwand.

Infolgedessen machte sich der Vizekönig auf die Suche nach der verschollenen Prinzessin …
 
Mein väterlicher Mentor, Rabbi Shalom Arush erklärt in seinem Buch „Began Hagaguim“ ("Im Garten der Sehnsucht") schrittweise, was hinter dem mysteriösem Verschwinden der Prinzessin hervorgeht …  
 
So heißt es in der Geschichte: … Daraufhin sagte der Riese zum Vizekönig: „Meines Erachtens ist das alles völliger Unsinn. Da du allerdings so sehr darauf beharrst und ich Verantwortung für die Tiere habe, werde ich sie alle zu uns her beordern. Wer weiß, vielleicht kann uns eines dieser Tiere sagen, wo sich dieser Berg und dieses Schloss, nach denen du so händeringend suchst, befinden.“

Also rief er alle Tiere zu sich und befragte dabei vom kleinsten bis hin zum größten Tier alle Tierarten, jedes einzelne, ob sie vielleicht diesen Berg und dieses Schloss kannten? Als Antwort erhielt er von allen ein und dieselbe Antwort, nämlich dass sie diese niemals gesehen hatten. Daraufhin sagte der Riese erneut zum Vizekönig: „Siehst du, ich sagte dir doch bereits, dass man dir damit völligen Quatsch aufgetischt hatte. Wenn du mich nach meiner Meinung fragen würdest, wäre es das Beste für dich, dorthin zurückzukehren, von wo du herkamst! Denn du wirst den Berg und das Schloss sowieso niemals finden, da sie ja schließlich nicht existieren.“ …
 
Wie bereits gesagt, geht es im Leben eines Menschen wie auf einem Laufband von einem Hindernis zum anderen! So auch beim Vizekönig. Nachdem er das Hindernis, d.h. in dem Fall die Einwendungen des Riesen, die ihm zum Aufgeben motivieren sollten, überwand, fand er sich nur einige Momente später erneut aufgrund der Aussagen aller Tiere, die behaupteten, weder einen Berg aus Gold noch ein Schloss aus Perlen gesehen zu haben, vor einem noch größeren Hindernis. Dieses Hindernis verlangte von ihm zweifellos die Entscheidung ab, ob er entweder seinen Kopf in den Sand stecken wird, oder sich – trotz all der augenscheinlichen Hindernisse – gehobenen Hauptes weiterhin auf die Suche nach der verschollenen Prinzessin macht. Doch dem Vizekönig warf auch dieses Hindernis aufgrund seines gesetzten, starken, energischen und unbeugsamen Verstandes, den er sich im Bezug zur Wahrheit verschaffte, nicht aus seiner Bahn! Also kurz gesagt, dass er dank seines klaren Kopfes in kein gedankliches oder gefühlbetontes Chaos stürzte. Im Gegenteil, er machte dem Riesen unmissverständlich klar, dass er sich um jeden Preis weiterhin auf die Suche nach der verschollenen Prinzessin begeben werde …
 
Weiter heißt es in der Geschichte: … Doch der Vizekönig war nicht unterzukriegen und antwortete dem Riesen voller Elan und grenzenloser Überzeugung, dass diese Dinge mit absoluter Sicherheit existieren. Daraufhin antwortete ihm der Riese: „Mein Bruder, der für alle Vögel verantwortlich ist, lebt dort in der Wüste. Geh zu ihm und sage ihm, dass ich dich zu ihm sandte. Wer weiß, vielleicht hat einer der über der Erde schwebenden Vögel diesen Berg und dieses Schloss gesehen?!“ So gesagt, machte sich der Vizekönig auf den beschwerlichen Weg einer jahrelangen Suche nach dem Bruder …
 
Der Vizekönig setzte also seinen Weg unbeeindruckt von allen bisherigen Vorkommnissen fort. Allerdings unterlief ihm dabei ein richtig großer Fehler: Anstatt weiterhin nach der Prinzessin zu suchen, suchte er nun nach dem Bruder des Riesen! Und dies ist – wie bereits gesagt – ein richtig großer Fehler; denn ab dem Moment an, wo ein Mensch eine gewisse Verbindung zu einem wahren Zaddik (einen von Grund auf gerechten und weisen Mann) entwickelte oder sogar klare Anweisungen von ihm erhielt – so wie es beim Vizekönig auf einer gewissen Art der Fall war -, dann darf man auf überhaupt keinen Fall auf die Ratschläge anderer hören. Doch der Vizekönig tat in Prinzip genau dies. Er hörte auf den Riesen, der ihm bereits vor seinem Ratschlag, mit dem er ihm dazu riet, seinen Bruder zu suchen, davon abbringen wollte, an der Suche nach der verschollenen Prinzessin festzuhalten! Nur durch ein Wunder gelang es ihm dabei, sowohl die innere Kraft als auch die erforderliche Gelassenheit dafür aufzubringen, weiterhin nach der Prinzessin suchen zu wollen – und dies trotz all der schlüssigen Argumente, die ihm zum Aufgeben ermunterten. Infolgedessen hätte der Vizekönig nach seinem richtig gefällten Entschluss, weiterhin nach der Prinzessin suchen zu wollen, nicht auf die Stimme des Riesen hören dürfen. Vor allem nicht nachdem es dem Riesen bereits um ein Haar gelang, ihn davon zu überzeugen, dass es sich bei seiner Suche um völligen Unsinn handelte. Demnach ist es nicht wirklich nachvollziehbar, weshalb der Vizekönig nun auf einmal nach dem Bruder des Riesen sucht. Denn woher nimmt er die Gewissheit, dass er der erneuten Glaubensprüfung standhalten wird? Woher nimmt er die Gewissheit, dass ihm der Bruder des Riesen tatsächlich auf die richtige Fährte bringen wird? Er müsste normalerweise vom absoluten Gegenteil ausgehen, denn nach klarer Betrachtung der Sachlage bleibt nur übrig, dass der Bruder des Riesen – so wie der Riese selbst – ebenfalls versuchen wird, seiner Suche ein Ende zu setzen, da es in seinen Augen mit Sicherheit auch nur ein völliger Quatsch ist, an solch einer Suche festzuhalten!
 
Zusammenfassend bedeutet dies, dass man niemals auf einen Rat von denjenigen hören sollte bzw. dass man sich niemals auf jene verlassen sollte, die einem nicht auf den vorgegebenen Weg des Zaddiks bringen wollen. Da es sich bei dieser Art von Ratschlag um alles, nur nicht um einen sinnvollen Rat handelt.

Rabbi Nachman erklärt, dass nur der wahre Zaddik imstande ist, einer Person einen vollends richtigen Rat zu geben (siehe Likutey Moharan Band 1, Kapitel 7): „Ohne eine Annäherung an die wahren Zaddikim sowie den Willen, sich auf dem Weg ihrer Ratschläge zu halten, ist es schlichtweg unmöglich, die Wahrheit zu erkennen. Der Rat, den man von ihnen erhält, ist spirituell gleichbedeutend mit einem ewiglichen Heiratsbund. Und weshalb ähnelt ein Rat einem ewiglichen Heiratsbund? Da der Rat gewissermaßen aus den Nieren entspringt (siehe Babylonischer Talmud, Traktat Sabbat, Seite 61). Des Weiteren fungieren die Nieren als Auffangbehälter der Samen, und deshalb bilden sie sozusagen die ausführenden Werkzeuge für eine Geburt. Demnach ähnelt der Rat, den eine Person von jemandem erhält, auf eine gewisse Art auch als Empfang des Samens dieser Person. Und hierbei ist nun zu beachten, ob es sich bei der Ratschlag gebenden Person um einen guten oder schlechten Menschen handelt. Infolgedessen ist der Rat eines Zaddiks immer vollkommen richtig, da der Samen eines Zaddiks der absoluten Wahrheit entspricht …“
 
Weiterheißt es in der Geschichte: … Nach vielen, vielen Jahren begegnete ihm erneut ein äußerst riesiger Mann – das war der Bruder des Riesen -, der ebenfalls einen massiven Baum mit sich trug und den Vizekönig darüber hinaus mit derselben Frage konfrontierte. Daraufhin erzählte dieser ihm – wie bereits gehabt – die ganze Geschichte, und auch dass sein Bruder ihn geschickt hatte. Doch auch der Bruder des Riesen entgegnete ihm ebenfalls entmutigend, indem auch er ihn davon überzeugen wollte, dass diese Dinge mit absoluter Sicherheit nicht existieren würden.

Und auch jetzt wollte der Vizekönig nichts davon hören und antwortete auch ihm (dem Bruder des Riesen) voller Elan und grenzenloser Überzeugung, dass diese Dinge mit absoluter Sicherheit existieren würden! Der Bruder des Riesen sagte daraufhin kleinlaut: „Wie du ja bereits weißt, bin ich für alle Vögel verantwortlich, daher werde ich sie nun allesamt zu uns her beordern. Wer weiß, vielleicht hat einer unter ihnen doch diese Dinge, nach denen du so händeringend suchst, gesehen.“

Also rief er alle Vögel zu sich und befragte dabei vom kleinsten bis hin zum größten Vogel jeden einzelnen, ob sie vielleicht etwas derartiges beobachteten. Er erhielt von allen immer wieder ein und dieselbe Antwort, nämlich dass keiner jemals diesen Berg und dieses Schloss zu Augen bekam. Daraufhin sagte der Riese zum Vizekönig: „Siehst du! Ich sagte dir doch bereits, dass diese Dinge mit absoluter Sicherheit nicht existieren. Daher höre doch nun bitte endlich auf mich und kehre dahin zurück, von wo du herkamst, da dies aufgrund der Tatsache, dass diese Dinge ja schließlich nicht existieren, das Beste für dich ist.“

Doch auch jetzt, antwortete er dem Bruder des Riesen wieder voller Elan und grenzenloser Überzeugung, dass seine Worte nicht der Wahrheit entsprechen würden, da es den Berg und das Schloss mit absoluter Sicherheit irgendwo auf dieser Welt gäbe …
 
Wie man sieht, waren die beiden Begegnungen, die der Vizekönig mit den riesigen Brüdern hatte, identisch, da beide ihn davon abbringen wollten, die Suche nach der Prinzessin, also der Suche nach dem vollkommenen Erhalt des Glaubens, weiterzuführen. So sieht das Ergebnis aus, wenn man – anstatt mit einer gewissen Naivität (im positiven Sinne) auf die Stimme des Zaddiks zu hören – auf die Ratschläge irgendwelcher Personen hört …
 
Dem Vizekönig gelang es also dank seines absolut klaren Kopfes wieder einmal, alle Abbringungsversuche von sich fernzuhalten und weiterhin an dem Willen der Weitersuche festzuhalten. Darüber hinaus wusste er nun, dass es sich bei den Instruktionen, die er vor seinem Suchantritt von der Prinzessin erhielt, um die glasklare Wahrheit handelte. Er sagte zu sich selbst: „Bevor sie verschwunden war, sagte sie in Form eines Zeichens ausdrücklich zu mir, dass sie auf einem Berg aus Gold in einem Schloss aus Perlen zu finden sein wird. Daher darf ich von nun ab auf nichts und niemanden mehr hören, außer auf die Instruktionen, die sie mir vor ihrem plötzlichen Verschwinden gab.“ 

Diese kraftgeballte Erkenntnis vermittelte dem Vizekönig eine immense Kraft, die ihm wiederum zu einem unerschütterlichen Willen des nicht Aufgebens brachte; und deshalb gelang es ihm sogar, ein anfängliches Hindernis zu seinen Gunsten umzumodeln, da er sich dazu entschloss, von nun ab nur noch auf die Stimme der Wahrheit sprechenden Prinzessin zu hören, ohne sich von irgendjemanden weiterhin verunsichern zu lassen – weder von dem Riesen noch von den Vögeln, die allesamt behaupteten, dass es diesen Berg aus Gold nicht gäbe. Im Gegenteil, er wusste, was der Wahrheit entspricht und welches Ziel es zu erreichen gilt, daher machte er sich wie blind auf die Suche nach der Prinzessin. Der Bruder des Riesen gab aufgrund dessen klein bei und sandte ihn zu ihrem dritten Bruder. Doch dieses Mal veränderte der Vizekönig seine Suchstrategie keinen Millimeter! Das heißt trotz der Tatsache, dass der Bruder des Riesen ihn zu ihrem dritten Bruder sandte, beging er nicht noch einmal denselben Fehler, indem er nach ihm anstatt nach der Prinzessin suchte. Dieses Mal machte sich der Vizekönig auf die Suche nach der Prinzessin, und deshalb gelang es ihm am Ende auch, sie zu finden und zu befreien!

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