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Nach oben: An vielen Stellen im Tanach ist der Aufstieg eine Metapher für das spirituelle Wachsen - Jakows Traum von der Himmelsleiter ermahnt den Menschen ...

3 Min.

Rabbiner Yaacov Zinvirt

gepostet auf 17.03.21

Nach oben: An vielen Stellen im Tanach ist der Aufstieg eine Metapher für das spirituelle Wachsen – Jakows Traum von der Himmelsleiter ermahnt den Menschen, die richtigen Entscheidungen zu treffen
 
Der Wochenabschnitt Wajeze beginnt mit einem Traum: »So zog Jakow fort von Beer Sheva und ging nach Charan. Da stieß er auf einen Ort und übernachtete dort, weil die Sonne untergegangen war, nahm einen von den Steinen des Ortes, stellte ihn sich zu Häupten auf und legte sich an dieser Stätte nieder. Da träumte ihm: Siehe da, eine Leiter stand auf der Erde, und ihre Spitze reicht gen Himmel, und siehe da, Engel G’ttes stiegen auf ihr auf und nieder« (1. Buch Moses 28, 10–12).

Jakow befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf der Flucht. Er ist vor seinem Bruder Esaw ausgerissen, weil er sich vor dessen Rache ängstigt. Nach der Interpretation des Ramban sagen unsere Weisen: »Maase awot siman le banim – die Taten der Vorväter sind Zeichen für die Kinder«.

Jakow symbolisiert mit seinem Auszug aus seiner Heimat Beer Sheva den Beginn der Diaspora, der Verstreuung. Jakow, unser Stammesvater, liefert mit seinen Taten das Manuskript, den Mikrofilm für die Zukunft des Volkes Israel. 

Eine Erklärung für die Engel in Jakows Traum finden wir im Midrasch Tanchuma. Dort sagt Rabbi Schmuel: Die Engel waren die Fürsten, Vertreter der Völker der Welt. Mit ihnen verbunden sind die verschiedenen Kulturepochen, deren Aufkommen und Verschwinden gezeigt wird. Jakow verstand aus dieser Traumszene, dass jeder Aufstieg dieser Völker in gewisser Weise begrenzt war. Auch uns ist die Geschichte der anderen Völker bekannt: Großen Aufstiegen folgten Abstiege.

Jakow wird angst wegen dieses Traums, denn es würde doch dann auch sein Volk bedroht sein. In der folgenden Traumphase beruhigt ihn G’tt: »Siehe, ich bin mit dir, ich werde dich überall behüten … ich werde dich nicht verlassen, bis ich getan, was ich dir zugesagt habe« (28,15). Aus dieser Aussage schließen unsere Weisen: Nicht nur Jakow als Person ist gemeint, sondern das gesamte Volk Israel, jetzt und in Zukunft. 

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Interessant ist auch die Stellung der Leiter. Sie steht auf dem Erdboden und ist zum Himmel hin ausgerichtet. Wenn der Mensch beide Pflichten erfüllt, sowohl die materiellen (Erde) als auch die spirituellen (Himmel), wird das Volk ewig bestehen. Auch Rambam sieht in dem Symbol der Leiter eine Verbindung zwischen Erde und Himmel, Materie und G’tt, aber er verbindet dies nicht mit der Zukunft. Er unterstreicht, dass der Aufstieg zuerst genannt ist. Er ist gleichzusetzen mit dem Verständnis. Durch ständiges Lernen, Forschen und den Versuch zu verstehen, selbstverständlich auch G’tt zu verstehen, ist das unser Aufstieg.

Abstieg ist für Rambam kein negativ besetzter Begriff. Er interpretiert ihn als eine Form der Bereicherung für unsere Gesellschaft. Mit den vom Aufstieg erhaltenen Erkenntnissen werden diese zur Gesellschaft, zu jedem Einzelnen, zurückgebracht, integriert und angewandt. Es ist ein Zyklus von Forschung und Anwendung. Rambam verstand Jakows Traum als eine Lektion, wie der Mensch am einfachsten zur Erkenntnis G’ttes gelangt.

Auch Rabbi Chaim von Woloschyn hat über Jakows Traum nachgedacht. In seinem Buch Nefesch ha Chajim schreibt er, die auf- und absteigenden Engel seien in jedem Menschen enthalten. Es hängt von uns ab, ob wir uns beim Auf- oder Abstieg befinden. Die Engel, ein g’ttliches Symbol, sind wir Menschen, das heißt, wir sind ein Ebenbild G’ttes und haben die Möglichkeit, unsere positiven Eigenschaften zu nutzen.

Bei Rambam ist der Mensch klein, er muss sich anstrengen, erheben. Durch ständiges Lernen nähert er sich G’tt. Rabbi Chaim von Woloschyn sagt, alles sei für den Menschen gegeben, er stehe im Zentrum. Jedoch müsse er darauf achten, richtige Entscheidungen zu treffen. Der Aufstieg ist eine Metapher. Sowohl Rambam als auch Rabbi Chaim von Woloschyn sehen darin ein höheres seelisches und geistiges Niveau.
 
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Duisburg – Mülheim – Oberhausen und Mitglied der ORD.

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