Alles nur zum Guten

Die Tora lehrt, dass Gott das Beste für den Menschen will – auch wenn es manchmal nicht so aussieht.

4 Min.

Rabbiner Jan Guggenheim

gepostet auf 04.04.21

PLAN

 

Die Tora lehrt, dass G’tt das Beste für den Menschen will – auch wenn es manchmal nicht so aussieht.

 

Der Wochenabschnitt Balak erzählt von zwei Menschen, die versuchen, das jüdische Volk zu verfluchen. Es misslingt ihnen – und noch mehr als das: Das Volk wird sogar gesegnet. Als Balak, der König von Moaw, sah, dass das jüdische Volk das Land der Emoriter erobert hatte, bekam er Angst, das jüdische Volk werde nun auch Moaw und Midjan erobern. Er schickte Gesandte zu Bileam. Der sollte das jüdische Volk verfluchen und damit außer Gefecht setzen.

 

Im Wochenabschnitt Balak befindet sich das jüdische Volk bereits in den Steppen von Moaw auf der östlichen Seite des Jordans in der Höhe der Stadt Jericho, also kurz vor dem Einzug ins verheißene Land. Das jüdische Volk wusste nichts von den fehlgeschlagenen Flüchen. Es war eine Angelegenheit zwischen Balak und Bileam. Doch warum steht die Geschichte in der Tora, wo doch jedes Ereignis, von dem sie berichtet, bedeutsam ist, ja, jeder Buchstabe, der in der Tora steht, eine Bedeutung hat? Dass zwei Menschen das jüdische Volk vernichten wollten, ist (bis heute) leider nichts Außergewöhnliches. Was soll also diese Geschichte lehren?

 

In der Haftara, die wir nach der Toralesung am Schabbat Balak lesen, steht die Antwort: »… um zu erkennen die Gnade G’ttes« (Micha 6,5). Das heißt: G’tt hat nicht zugelassen, dass jemand das jüdische Volk verflucht. Aber muss deshalb die ganze Geschichte en détail erzählt werden – eine Geschichte, die sich über den Großteil des Wochenabschnitts erstreckt?

 

 

BESTIMMER

 

Die Tora lehrt uns, dass G’tt es ist, der entscheidet. Er bestimmt nicht nur über Ereignisse, die wir uns vorstellen können, sondern auch über jene, die uns nicht einmal im Traum einfallen – Ereignisse, bei denen man sagen würde: Das sind doch ausgedachte Geschichten.

 

Wir machen uns Pläne und sind stolz darauf, wie toll sie sind. Doch wie oft schlägt so ein Plan fehl. G’tt lacht nur darüber, denn letztlich ist Er der Bestimmer, wie wir im Tanach lesen: »Viele Gedanken im Herzen eines Menschen, und der Ratschluss G’ttes hat Bestand« (Sprüche 19,21). Bileam versucht dreimal, das jüdische Volk zu verfluchen. Und jedes Mal legt G’tt ihm einen Segen in den Mund. Der Plan war sehr gut eingefädelt. Nicht umsonst bat Balak ausgerechnet Bileam, das jüdische Volk zu verfluchen, denn kein anderer wäre dazu wohl in der Lage gewesen.

 

Der Talmud (Brachot 7a) sagt, Bileam habe gewusst, dass G’tt jeden Tag einen Moment hat, an dem er zornig ist – wie es in den Psalmen heißt: »einen Moment in seinem Zorn« (30,6). Bileam kannte sogar den exakten Zeitpunkt und war überzeugt, G’tt werde das jüdische Volk in genau jenem Moment verfluchen.

 

 

ZORN

 

Gegen Ende der Tora steht: »Es ist kein Prophet mehr gewesen in Israel wie Mosche« (5. Buch Mose 34,10). Daraus ziehen unsere Weisen den Schluss: In Israel ist keiner gewesen – aber bei den anderen Völkern gab es einen. Das war Bileam. Der hätte seinen Fluch genau in jenem Moment aussprechen können, in dem G’tt üblicherweise zornig ist. Doch G’tt war gnädig mit dem jüdischen Volk, Er verdrängte seinen Zorn an jenem Tag, an dem Bileam das Volk Israel verfluchen wollte. Der Talmud sagt: Wenn G’tt in diesem Moment gezürnt hätte, wäre keiner aus dem jüdischen Volk übrig geblieben.

 

Nachdem G’tt an diesem Tag nun seinen Zorn verdrängt hatte, hätte Er Bileam das jüdische Volk trotzdem verfluchen lassen können, denn es wäre nichts geschehen. Doch stattdessen kamen Segensworte. G’tt zeigte, was Er zu Bileam im Traum gesagt hatte: »Du kannst das Volk nicht verfluchen, denn es ist gesegnet« (4. Buch Mose 22,12). G’tt machte Balak und Bileam einen Strich durch die Rechnung.

 

Die beiden hätten verstehen können, dass es nicht G’ttes Plan ist, das jüdische Volk zu verfluchen – das jüdische Volk, »das aus Ägypten ausgezogen ist«. Sie hätten wissen müssen, dass der Auszug aus Ägypten schon einiges über G’ttes enge Bindung zum jüdischen Volk sagt.

 

So wie mit G’tt und Seinem Volk, so verhält es sich auch bei Eltern und ihren Kindern: Wenn Eltern dem Kind etwas verbieten, es mit etwas beauftragen oder es bestrafen, so ist dem Kind der Sinn des Ganzen nicht immer verständlich. Oft sagen die Eltern zu den Kindern: »Wenn du älter bist, wirst du das verstehen.« Das Kind hat also keine Wahl. Aber im Laufe der Zeit wird es allmählich verstehen, was die Eltern gemeint haben (selbst wenn es im Nachhinein nicht damit einverstanden ist).

 

 

HINTERGRUND

 

Wenn jemandem etwas zustößt, weiß man oft nicht, warum das geschah. Im Talmud lehren Rabbi Akiva und Nachum Isch-gam-su: Auch wenn einem der Grund für etwas nicht bekannt ist, sollte man zumindest wissen, von wem es kommt, und dass es deshalb zum Guten ist. Rabbi Akiva pflegte zu sagen: »Alles, was G’tt macht, macht er zum Guten.«

 

Nachum Isch-gam-su, der immer sagte, »auch das ist zum Guten«, erhielt aus diesem Grund den Namen: »Isch-gam-su« – »der Mann (der immer sagt) ›auch das‹«. Wenn jemand das ständig sagt, selbst bei Kleinigkeiten, die geschehen, weiß er auch in schwierigen Situationen, dass alles zum Guten ist.

 

Dieser Wochenabschnitt vermittelt: Man sollte wissen, dass G’tt einen immer begleitet und für jeden das Beste will. Dazu gehört auch, dass die Pläne, die man macht, nicht immer aufgehen. Doch dies gereicht einem zum Guten, auch wenn es im ersten Moment nicht so scheint. Denn das, was manchmal wie ein Fluch aussieht, ist in Wirklichkeit ein Segen.

 

 

Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.

 

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