Korachs Knoten

OPPOSITION - Wie Mosches Widersacher das Volk spalten wollte ...

4 Min.

Rabbiner Nosson Wolf Kaplan

gepostet auf 04.04.21

OPPOSITION – Wie Mosches Widersacher das Volk spalten wollte

Korach beginnt damit, dass einige Männer Mosches Autorität infrage stellen. G’tt verteidigt ihn – auf sehr demonstrative Weise: Die Opponenten werden von der Erde verschlungen. Stärker hätte sich G’tt für Mosche kaum einsetzen können, hätte kaum deutlicher zeigen können, dass Mosche sich auf der richtigen Seite befand und seine Gegner im Irrtum waren.

 

Eigentlich würde man nach so einer dramatischen Vorführung erwarten, dass keiner es mehr wagt, sich mit Mosche anzulegen. Doch bereits am nächsten Tag beklagen sich die Israeliten wieder: »Ihr habt das Volk des Herrn getötet.« Wie konnten sie eine so klare Botschaft nicht verstehen? War es nicht genug, dass G’tt sich persönlich eingesetzt hatte? Wie konnte diese heilige Generation, die vor Kurzem erst die Tora empfangen hatte, so blind sein?

 

 

WEIHRAUCH

 

Es stellt sich hier eine weitere Frage: Was hat Ktoret mit diesen Geschehnissen zu tun? Denn die Plage, die G’tt nach der Auflehnung gegen Mosche über das Volk Israel brachte, wurde mit dem Ktoret, dem Weihrauch auf der Räucherpfanne, beendet.

 

Eine interessante Erklärung zu dieser Frage gibt Rabbi Avigdor Nebenzahl. Er sagt, dass Korachs Argumentation gegen Mosche aus zwei Teilen besteht: Erstens beklagte sich Korach darüber, dass Mosche seinen Bruder Aharon zum Hohepriester (Kohen Gadol) ernannt hatte, Aharons Söhne zu Aufsehern über die Kohanim, seinen Cousin Elizafan zum Fürsten (Nassi) über den Stamm Levi und sich selbst zum König. Dies sei ganz und gar Mosches Idee gewesen und nicht der Wille G’ttes.

 

Prompt kam Mosches Antwort: »Sollte die Erde euch verschlingen, werden alle verstehen, dass es ein Zeichen G’ttes ist und dass ich voll und ganz nach Seinem Willen gehandelt habe!« Durch dieses Zeichen sollte dem Volk klar werden, dassKorach die Tatsachen falsch dargestellt hat. Die zweite, angedeutete Beschuldigung Korachs war, dass Mosche in eigenem Interesse und nicht im Interesse seines Volkes handelte. Nachdem G’tt Mosches Anliegen in die Tat umgesetzt hatte, verstanden alle, dass zumindest Korachs erste Beschuldigung unberechtigt war, dass das »Familiengeschäft« sehr wohl g’ttgewollt war. Aber was ist mit Korachs zweiter Klage?

 

Die Menschen glaubten, dass Mosche die richtigen Entscheidungen traf und im Interesse des Volkes handelte. Aber sie hatten Zweifel, ob er wirklich geeignet war, sie zu führen. Genau das formulierte das Volk am nächsten Tag. Denn G’tt hat Mosche nicht damit beauftragt, ausgerechnet Ktoret zu benutzen, um zu klären, wer im Recht war. Denn eigentlich waren Korach und seine Anhänger alle aus dem Stamm Levi, und Ktoret ist ein G’ttesdienst, der nur von Kohanim verrichtet wurde.

 

Vielleicht hat Mosche die falsche Entscheidung getroffen, und all die Menschen sind umsonst gestorben? Nach den Geschehnissen im vorhergehenden Wochenabschnitt, in dem davon erzählt wird, wie die Söhne des Hohepriesters Aharon, Nadav und Avihu, starben, wussten die Israeliten von den fatalen Folgen des falschen Umgangs mit Ktoret.

 

Warum musste Mosche dann ausgerechnet diese vernichtende Waffe benutzen? Er wusste, was geschieht, wenn man die Ktoret falsch einsetzt. Warum mussten so viele Menschen dabei sterben, klagte das Volk. Um die Israeliten zu überzeugen, dass seine Entscheidung über die Ktoret richtig war, wies Mosche seinen Bruder Aharon an, Ktoret zu benutzen, um Gnade für seine Mitmenschen zu erbitten.

 

 

SCHULD

 

Der Talmud (Bava Bathra 74) sagt, dass an der Stelle, an der Korach verschlungen wurde, zwei Bäume stehen, zwischen denen Rauch aufsteigt. Man hört dort immer noch die Stimmen der Verschlungenen: Mosche Emet VeTorato Emet – Mosche ist wahr, und seine Tora ist wahr. Die beiden Bäume stehen für die zwei Beschuldigungen Korachs. Die zwei Bekundungen bedeuten, dass die Tora, die Mosche von G’tt bekam, wahr ist, ebenso wie seine eigenen Entscheidungen.

 

Das Wort Ktoret ist im Aramäischen bedeutungsverwandt mit dem hebräischen Wort Kescher, Knoten. Ein Korban (Opfer) stellt eine Beziehung (karov – Nähe, Verwandtschaft) mit dem Schöpfer her, und Ktoret macht einen Knoten aus dieser Verbindung. Korach wolte das Volk spalten. Seine erste Klage sollte zeigen, dass Mosche keine Verbindung zu G’tt hat, seine zweite, dass er auch keine Verbindung mit dem Rest des Klal Israel hat.

 

Der Targum Onkelos übersetzt »vajikach Korach« – und Korachnahm (sich seine Anhänger) – mit »vajitpaleg Korach«, was so viel bedeutet wie: Und Korach spaltete sich ab, trennte sich. Was für eine Ironie! Denn Korachs Hauptforderung »Wir sind alle heilig« klang so, als wäre er an Einigkeit interessiert. Er hatte damit aber die Einigkeit als Motiv für die Teilung benutzt.

 

Das kann auch der Grund dafür sein, warum ausgerechnet Ktoret benutzt wurde und warum ausgerechnet Aharon es bringen musste. Denn Ktoret stellt sicher, dass die Verbindung zu G’tt fest ist. Aharon musste es bringen, weil er als der Friedensstifter bekannt ist.

 

Und was ist mit Mosche? War er ein Friedensstifter? Offensichtlich trat er für die Wahrheit ein, aber war er auch für den Frieden? Mit Sicherheit nicht um jeden Preis. Denn was wäre gewesen, wenn Korachs Argumentation Erfolg gehabt hätte? Wenn Mosche sich über Korach erbarmt und G’tt ihm die Strafe erlassen hätte? Wenn Korach einfach so hätte weiter- machen können wie bisher? Warum war dieses »Duell« für Mosche so wichtig; was hat er da verteidigt?

 

Er hat den Frieden verteidigt und die Einigkeit seines Volkes. Korachs Ideen sahen auf den ersten Blick harmlos und »demokratisch« aus, doch sie spalteten das Volk, säten Misstrauen und Hass. Das sah Mosche voraus und kämpfte dagegen – auch auf die Gefahr hin, dass sein Volk ihn des Mordes beschuldigt und er auf der Beliebtheitsskala nach unten wandert. Das alles nahm Mosche in Kauf, denn er verstand, dass sich Frieden und Lüge nicht vertragen und dass ein Anführer, solange er für die Wahrheit und den Frieden kämpft, nicht immer bequem sein muss, und dass er sich nicht immer von der öffentlichen Meinung leiten lassen darf.

 

Genauso müssen wir auch in unserem persönlichen Leben oft für den Frieden kämpfen. Innezuhalten anstatt etwas zu sagen, was wir später bereuen könnten, ist auch ein Kampf mit uns selbst für den Frieden mit anderen.

 

 

Der Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD). Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.

 

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