Von ganzem Herzen

Schma Jisrael - Das bekannteste Gebet im Judentum hilft uns, Gottes Liebe anzunehmen und wiederzugeben.

4 Min.

Rabbiner Jehoschua Ahrens

gepostet auf 14.03.21

SCHMA

 

Von ganzem Herzen

 

Das bekannteste Gebet im Judentum hilft uns, G’ttes Liebe anzunehmen und wiederzugeben.

 

In unserem Wochenabschnitt führt Mosche seine Rede an das Volk Israel fort – unter anderem mit einem der wohl bekanntesten Zitate aus der Tora: dem Schma Jisrael. Der Satz »Höre Israel, der Ewige ist unser G’tt, der Ewige ist einzig!« (5. Buch Mose 6,4) ist wohl so etwas wie ein jüdisches Glaubensbekenntnis geworden (auch wenn es so etwas in unserer Tradition eigentlich nicht gibt). Es ist in der Regel auch Jüdinnen und Juden bekannt, die sonst nicht viel mit Religion zu tun haben – und gerade in schweren Zeiten oder dem Tod ist das Schma wie ein Aufschrei gegen die Situation.

 

Für viele jüdische Kinder ist das Schma das erste jüdische Gebet, das sie sagen können – immerhin ist es eines der insgesamt nur zwei Gebete, die uns explizit von der Tora aufgetragen werden. Daher überrascht es nicht, dass Rabbiner Eliezer Silver, als er 1945 von den USA nach Europa geschickt wurde, um jüdische Kinder zu finden, die in christlichen Heimen versteckt wurden, laut das Schma rezitierte – und bei den Kindern, die darauf reagierten, wusste er, dass sie jüdisch sind.

 

 

GESCHÖPFE

 

Der genaue Inhalt des Schma ist schwierig zu definieren, denn das hebräische Wort »echad« hat ganz verschiedene Bedeutungen, die uns zumindest teilweise etwas über das Wesen und die Eigenschaften G’ttes erklären können. Der Rambam (Maimonides) erklärt in Hilchot Jesodei Hatora (1,7): »Dieser G’tt ist einzig. Er ist nicht zwei oder mehr als zwei, sondern einer. Und kein einziges Seiner Geschöpfe kann sich mit Seiner Einheit vergleichen. Er ist nicht eins einer generellen Kategorie und nicht eins eines Körpers, sondern Er ist einheitlich«

 

Das Wort »echad« hat also mehrere Bedeutungen: G’tt ist einer und der einzige. Er ist unteilbar und einzigartig. Und Er vereint die Zeit, das heißt, Er war, ist und wird sein (Rambam, Dreizehn Grundlehren, 4). Yeshayahu Leibowitz schreibt in seinem Buch The Faith of Maimonides, dass »die Signifikanz dieses ›einzig‹ ist, dass es qualitativ ist, nicht quantitativ … Er ist der transzendente G’tt, der jenseits von allem ist, was in der menschlichen Wahrnehmung existiert«.

 

Interessant ist auch, dass die Buchstaben Ajin und Dalet des ersten und des letzten Wortes besonders hervorgehoben werden. Viele Kommentatoren erklären, dass diese beiden Buchstaben das Wort »Ed« ergeben (auf Deutsch: Zeuge). Mit dem Rezitieren des Schma bezeugen wir also die Existenz des einen G’ttes.

 

 

ETHIK

 

Es ist wichtig, das Schma im Kontext der Parascha zu sehen. Unsere Sidra beinhaltet nämlich viele Grundprinzipien des Judentums. Neben dem Schma sind da noch der Dekalog, die Verpflichtung zum Torastudium und viele ethische Grundsätze. Das ist sicherlich kein Zufall. Der Glaube an G’tt muss mit einer ethisch-moralischen Lebensführung verbunden sein. Wer an G’tt glaubt, muss also auch entsprechend handeln, sonst ist der Glaube leer. Wo wäre der Sinn, wenn ich beten, den Schabbat halten und koscher essen würde, gleichzeitig aber auch stehle und lüge?

 

Direkt nach dem Schma lesen wir in der Parascha die folgenden Verse (6, 17–18): »Haltet alle Gebote des Ewigen, eures G’ttes, Seine Zeugnisse und Gesetze, die Er euch vorgeschrieben hat. Tue, was in den Augen des Ewigen recht und gut ist«. Das bedeutet – so Raschi – Gutes zu tun, über das Gesetz hinaus. Der Ramban (Nachmanides) erklärt das in seinem Kommentar zum 3. Buch Mose 19,2: Man kann die Gebote und Verbote der Tora ganz genau halten und doch deren Geist und Absicht missachten.

 

Es gibt viele Beispiele in unserem Alltag, die nicht spezifisch durch die Tora geregelt sind. Dann sollen wir nach den Grundprinzipien handeln, die wir in der heutigen Parascha lernen. Wir sollen also tun, was recht und gut ist, denn wir sind heilig, weil G’tt heilig ist. Dies spiegelt sich immer wieder im Talmud wider. In vielen Fällen, in denen kein direktes Gebot oder Verbot aus der Tora abzuleiten ist (insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich) wird immer wieder der oben genannte Vers (6,18) zitiert und gefordert, dass man gut und gerecht handelt, über die Gesetze der Tora hinaus.

 

 

GLAUBE

 

Unser Handeln folgt aus der Liebe, die wir G’tt entgegenbringen. Denn Glaube, Liebe und Tat sind unabänderlich miteinander verknüpft. Diese Liebe ist bedingungslos und vollkommen, wie es der erste Satz direkt nach dem Schma in der Tora ausdrückt (der selbst Teil der drei Abschnitte nach dem Schma ist): »Du sollst den Ewigen, deinen G’tt, lieben von ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Vermögen (6,5)«.

 

Das oft zitierte Extrembeispiel ist der Märtyrertod von Rabbi Akiva. Der Talmud (Brachot 61b) berichtet, dass er bei seiner Hinrichtung das Schma sagte, da es die Zeit dazu war. Seine Schüler waren geschockt, dass er sogar bei seiner Folterung noch G’tt preisen konnte. Rabbi Akiva antwortete, dass er sein ganzes Leben über den Vers »mit ganzer Seele« nachgedacht hatte (den er als »selbst wenn die Seele genommen wird« interpretierte) – und nun, da er die Forderung des Verses erfüllen konnte, sollte er es etwa nicht tun?

 

Doch wie können wir einen G’tt, der so abstrakt ist, bedingungslos lieben? Maimonides schreibt in Mischne Tora (Jesodei HaTora 2,1), dass wir durch das Lernen und Befolgen der Tora, durch das Erfahren Seiner Werke und das Verstehen Seiner Worte zu dieser Liebe finden. Aber – so ergänzt er später – diese Liebe lässt sich nicht nur intellektuell, sondern auch emotional verspüren. Das ist auch wiederum im ersten Abschnitt nach dem Schma widergespiegelt. Dort heißt es (6, 7–8): »Du sollst sie deinen Kindern einschärfen und immer davon reden, wenn du zu Hause sitzt oder auf Reisen bist, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst.«

 

Das Schma ist also ein Hilfsmittel, um uns zu G’tt zu bekennen, seine Liebe anzunehmen und wiederzugeben und um uns bewusst zu machen, dass dieser Glaube nur im Handeln und Umgang mit unseren Mitmenschen zum Ausdruck kommt. Und das ist wichtig, eben weil wir an einen abstrakten und transzendenten G’tt glauben.

 

 

Der Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.

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